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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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Taverne darf ich nicht betreten. Neleta, die nicht mehr weiß, woher sie stammt, hat mir ihr Haus verboten, weil – so sagt sie – zuviel Schlamm an meinen Kleidern hängt. Und in den anderen Kneipen verkehren nur arme Teufel. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als die Dörfer abzustreifen, um wie mein Vater großmütige Menschen zu suchen.«
    Tonet, dessen Trägheit den Seinen so viel Verdruß bereitet hatte, erkühnte sich, ihm Ratschläge zu erteilen:
    »Aber warum arbeitest du nicht?«
    Sangonera zog ein verblüfftes Gesicht.
    »Was? Auch du? Du kommst mir wie die Alten in Palmar? He, warum drückst denn du dich jeden Tag bei Cañamel herum und trinkst vom Besten, anstatt deinem Vater zu helfen?«
    Der Kubaner, von der Logik des Trunkenboldes in die Enge getrieben, lächelte verlegen. Aber schon wurde der Vagabund, eingedenk des Weins, den Tonet für ihn bezahlt hatte, wieder sanft. In der Stille des sonnigen Nachmittags, die nur dann und wann durch das Gegacker der Hühner unterbrochen wurde, neigte er zu Vertraulichkeiten.
    »Glaube mir, Tonet, ich kann nicht arbeiten, und wenn man mich dazu zwingen würde. Die Arbeit ist ein Werk des Teufels, ein Ungehorsam gegen Gott und die schwerste aller Sünden. Nur Menschen mit verdorbener Seele, die sich mit ihrer Armut nicht abfinden können, die mit nichts als der Gier, Geld aufzuspeichern, an den morgigen Tag denken, können sich der Arbeit hingeben, durch die der Mensch sich zum Tier herabwürdigt. So zu handeln, heißt an der Barmherzigkeit Gottes zweifeln, der seine Kreaturen nicht im Stich läßt – und ich bin vor allem anderen Christ.«
    Sangoneras Blick schweifte über die vom letzten Sonnenlicht purpurn gefärbte Oberfläche des Kanals. Langsam, mit einem mystischen Ausdruck, der wenig seinem nach Alkohol riechenden Atem entsprach, fuhr er fort:
    »Tonet, du bist ein Dummkopf! Ich weiß mehr wie ihr alle in Palmar, denn als Sakristan habe ich die Bücher vom Vikar gelesen und fast das ganze Neue Testament auswendig gelernt. Sagt Jesus nicht von den Vögeln des Himmels: sie säen nicht, sie ernten nicht, und Gott erhält sie doch! Sagt ernicht von den Lilien auf dem Felde: sie brauchen nicht zu weben, denn Gottes Güte kleidet sie! ... Ich bin eine Kreatur Gottes und baue auf ihn. Und ich will den Herrn nicht durch Arbeit beleidigen, als zweifelte ich daran, daß mir seine Güte zur Seite steht. Nein, Tonet, ich will gerade so sein wie die Vögel vom See, wie die Blumen im Röhricht: nichts tun und auf die göttliche Vorsehung bauen. Von der Sucht nach irdischen Gütern will ich mich rein halten in dieser Welt, wo alle im Kampf ums Dasein die Fäuste zeigen, wo jeder seinen Nächsten plagt, um ihm etwas von seinem Wohlsein zu nehmen.«
    »Dann laß doch den See im Stich und geh ins Kloster«, riet der Kubaner; »dahin gehörst du mit solchen Ideen.«
    Sangonera jedoch protestierte hiergegen voll ehrlicher Entrüstung.
    »So? ... Ich habe mich mit dem Vikar überworfen und die Sakristei für immer verlassen, weil es mir zuwider war, bei meinen Gebietern einen Geist zu sehen, der den Büchern, die sie lesen, widerspricht. Sie sind genau wie alle anderen: lüstern nach der Peseta des Nächsten, die Gedanken auf Essen und Kleidung gerichtet, das Nachlassen der Frömmigkeit bejammernd, wenn kein Geld einkommt. Ich aber habe Glauben und bin zufrieden mit dem, was ich auf meinem Weg finde. Nie fehlt mir nachts ein Strohhaufen als Lager, nie spüre ich den Hunger so stark, daß ich zusammenbreche. Der Herr stellte, als er mich am See geboren werden ließ, alle Mittel zum Leben in meinen Bereich, damit ich das Beispiel eines wahren Gläubigen geben soll.«
    Tonet überkam die Lust, den alten Säufer zu verspotten.
    »Und weil du so reinen Herzens bist, betrinkst du dich! Wahrscheinlich befiehlt dir Gott, von einer Taverne in die andere zu laufen, um hinterher auf allen vieren über die Dämme zu kriechen ...«
    Doch auch dieser Hohn vermochte nicht den feierlichen Ernst Sangoneras zu erschüttern.
    »Meine Trunkenheit bringt niemandem Schaden. Und außerdem ist der Wein etwas Heiliges ... nicht ohne Grund bedient man sich seiner beim täglichen Meßopfer! Die Welt ist schön, aber durch ein Glas Wein gesehen, erscheint sie noch lächelnder, in noch schöneren Farben. Und mit größerer Innigkeit bewundert man dann ihren Schöpfer ... Jeder ergötzt sich nach seiner eigenen Weise. Cañamel zum Beispiel stapelt Goldunzen auf, und ich jauchze wie ein kleines Kind vor

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