Sumpffieber
wenn der Vikar ihn beauftragt hätte, die Sonntagspredigt zu halten.
»Dazu tauge ich nicht. Staken? ... Für niemanden auf der Welt! Außerdem kennst du meine Ansicht: Arbeit ist Teufelswerk.«
Doch der ungeduldige, von Angst gemarterte Tonet war nicht in der Laune, Sangoneras Blödsinn anzuhören.
»Kein Widerwort!« herrschte er ihn an, »oder du fliegst in den Kanal. Wie gut du das Staken verstehst, wenn es sich darum handelt, deine Finger in fremde Netze zu stecken und Aale zu stehlen! ... Deinen hungrigen Magen kannst du morgen vollstopfen wie noch nie, denn mein Jagdherr aus Valencia hat massig Proviant bei sich.«
Als er sah, daß Sangoneras Weigerung durch diese Aussicht ins Wanken geriet, brachte er ihn mit einigen rücksichtslosen Stößen zum Boot des Valencianers, wo er ihm die Obliegenheiten des nächsten Tages auseinandersetzte.
»Wenn der Herr kommt, so bestellst du, daß ich erkrankt wäre und du als Ersatz für mich einträtest.«
Bevor noch der verblüffte Sangonera Zeit fand zu mucksen, stand Tonet schon auf seinem Nachen und stakte mit der Energie der Verzweiflung heimwärts.
Die Fahrt war lang, die ganze Albufera zu durchkreuzen – und das ohneWind! Doch die Angst, die Ungewißheit spornte ihn an, und wie ein flinkes Weberschiffchen sauste sein kleines Boot über den dunklen Stoff, den die leuchtenden Pünktchen der Sterne sprenkelten.
Nach Mitternacht legte er in Palmar an, erschöpft, die Arme zerbrochen durch diese irrsinnige Fahrt. Wenn doch nur Ruhe herrschen möchte in der Taverne, damit er wie ein Klotz ins Bett fallen könnte! ...
Als er das Boot gegenüber dem Hause festmachte, sah er, daß es wie alle anderen im Dorf verschlossen und still dalag; aber durch die Ritzen der Tür sickerten dünne Lichtfäden.
Neletas Tante, die ihm öffnete, gab ihm sogleich ein Zeichen, vorsichtig zu sein, wobei sie nach einigen Männern am Ofen hinschielte: Bauern von Sueca, alte Stammgäste, denen man das Bleiben nicht verwehren konnte, ohne sie stutzig zu machen. Sie hatten in der Taverne zu Abend gegessen und erwarteten die Morgendämmerung, um von der Jagd zu profitieren.
Tonet begrüßte sie und plauderte noch ein Weilchen mit ihnen, ehe er nach Neletas Schlafzimmer hinaufstieg.
Er fand sie auf ihrem Bett, bleich, das Gesicht entstellt. Einen irren Ausdruck in den Augen, preßte sie beide Hände auf ihre Lenden. Der Schmerz ließ sie alle Vorsicht vergessen, und sie stöhnte so laut, daß die Tante erschrak.
»Sie werden dich hören!« mahnte sie, und Neleta stopfte sich eine Faust in den Mund oder biß in die Bettlaken, um ihr Ächzen zu ersticken.
Tonet wurde von der Alten wieder nach unten geschickt.
»Hier kannst du doch nicht helfen. Unterhalte lieber die Gäste, damit sie nicht achtgeben auf das, was hier oben vorgeht.«
Der Kubaner gehorchte. Über eine Stunde wärmte er sich an der Glut im Ofen und sprach mit den Bauern über ihre Ernte und die glänzenden Aussichten für die Jagd am nächsten Tage. Aber einmal brach die Unterhaltung brüsk ab. Alle hörten einen durchdringenden Schrei, einen Schrei so wild, wie ihn ein Mensch unter Mörderhänden ausstößt. Doch Tonets Gleichmütigkeit beruhigte sie.
»Die Patronin fühlt sich nicht wohl«, sagte er leichthin. Ohne auf die eiligen Schritte zu achten, unter der die Decke über ihren Köpfen erzitterte, unterhielten sie sich weiter. Indes erst als die Mehrzahl, vom Schlaf übermannt, mit dem Kopfe nickte, getraute sich Tonet, die Treppe wieder hinaufzusteigen.
Oben lag Neleta weiß wie Kalk, regungslos, ohne anderes Lebenszeichen als das Blitzen ihrer Augen.
»Tonet ... Tonet!« flüsterte sie.
Aus ihrer Stimme, aus ihrem Blick erriet er, was sie sagen wollte. Es war ein Auftrag, der Befehl eines unbeugsamen Willens. Diesen grausamen Entschluß, der Tonet so oft entsetzt hatte, bekundete Neleta jetzt von neuem, mitten in ihrer ohnmächtigen Schwäche, nach einer Krisis, die sie aufgerieben hatte. Sie sprach langsam, kaum vernehmbar – eine Stimme wie ein ferner Seufzer.
»Der schlimmste Augenblick ist vorbei ... jetzt ist ... die Reihe an dir .. . Laß sehen, daß du Courage hast.«
Die an allen Gliedern zitternde Tante, die vollkommen den Kopf verloren hatte, reichte Tonet, ohne recht zu wissen, was sie tat, ein Wäschebündel, in dem sich etwas Schmutziges, Übelriechendes, etwas von bläulichroter Farbe bewegte.
Als Neleta das Neugeborene so nahe bei sich sah, erstarrte ihr Gesicht. »Ich will es nicht sehen!«
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