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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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keuchte sie vor Angst, daß die Mutter in ihr erwachen könnte.
    »Tonet ... bring es weg ... sofort!«
    Der Kubaner gab der Tante schnell seine Anweisungen und stieg die Treppe hinunter zum Lokal, wo die Bauern längst schnarchten. Er verließ das Haus – und durch ein Fenster im Erdgeschoß, das zum Kanal ging, empfing er aus den Händen der Tante das kleine Paket.
    Sobald sich das Fenster wieder geschlossen hatte und Tonet allein in der Finsternis stand, schwand sein ganzer Mut. Ihm graute vor diesem Bündel Leinen und weichem Fleisch unter seinem Arm. Eine seltsame Nervosität schärfte seine Sinne. Er hörte alle, selbst die unbedeutendsten Geräusche vom Dorf. Und die Sterne ... färbten sie sich nicht rot? ... Der Wind schüttelte einen verkrüppelten Olivenbaum neben der Taverne, und das Rauschen der Blätter ließ Tonet fortrennen, als wäre das ganze Dorf erwacht, als forschte ein jeder, was er unter dem Arm trüge.
    Er glaubte, daß Samaruca, stutzig geworden durch Neletas Fehlen am Schanktisch, wie früher mit ihren Verwandten die Taverne umschliche, er bildete sich ein, daß die entsetzliche Hexe am Kanalufer auftauchen würde. Ah, wenn man ihn mit diesem Bündel anträfe! ...
    Erbarmungslos warf er das Paket, aus dem ein klägliches Schreienhervorzudringen anhub, in sein Boot, und zur Stange greifend hetzte er mit toller Eile durch den Kanal. Wie ein Verrückter stakte er, aufgepeitscht durch das Jammern des Neugeborenen, in ständiger Furcht, die Fenster der Hütten sich erleuchten zu sehen und von neugierigen Schatten nach dem Zweck und Ziel seiner Fahrt befragt zu werden ... Schnell blieben die stillen Häuschen Palmars hinter ihm. Er fuhr in die Albufera ein.
    Der Frieden des Sees, das Halbdunkel einer Sternennacht schien ihm seine Ruhe zurückzugeben. Über ihm der tiefblaue Himmel, zu seinen Füßen die schimmernde Flut, von mysteriösen Schauern bewegt, die den Reflex der Sterne erzittern ließen. Im Röhricht zirpten Vögel; das Wasser murmelte beim Schwanzschlage der sich verfolgenden Fische. Und in diese Geräusche mischte sich dann und wann die jämmerliche Klage des Kindes.
    Ganz zermürbt durch diese Nacht unablässiger Fahrten, stakte Tonet sein leichtes Boot weiter in der Richtung nach Saler. Sein Körper war am Versagen, doch das Hirn war wach und arbeitete rascher als die Arme.
    Er befand sich schon weit entfernt von Palmar, trotzdem aber beanspruchte der Weg bis Saler noch mehr als eine Stunde. Und von dort bis Valencia zwei weitere Stunden ... Tonet blickte zum Himmel – es mußte drei Uhr sein. In zwei Stunden kam die Morgendämmerung, und die Sonne würde am Horizont stehen, wenn er die Stadt erreichte. Nicht ohne Sorge dachte er auch an den langen Marsch durch die ständig von Gendarmen überwachte Huerta von Ruzafa, an die städtischen Steuerbeamten am Eingang von Valencia, die auf einer Besichtigung des Pakets bestehen würden, an die Frühaufsteher, unter denen vielleicht Bekannte waren. Und dazu dieses durchdringende Schreien, das, stärker und stärker werdend, selbst mitten in der Einsamkeit der Albufera eine Gefahr für ihn bedeutete.
    Vor sich sah er einen Weg sich endlos hinziehen, und er fühlte, daß die Kräfte ihn verließen. Nie würde er bis zu jenen frühmorgens noch leeren Straßen gelangen, nie bis zu den Kirchenportalen, wo man ein Kind wie einen lästigen Pack zurückläßt. Es war leicht, in dem stillen Schlafzimmer in Palmar zu sagen: »Tonet, tu es«; aber die Wirklichkeit schickte sich dann an, unüberwindliche Hindernisse zu errichten.
    Selbst auf dem See wuchs zeitweise die Gefahr. Sonst konnte man nachts von einem Ufer zum anderen steuern, ohne jemandem zu begegnen; doch in dieser Nacht war er voller Leben. Aus jedem Röhricht, aus jedem Gestrüpp vernahm man die Arbeit unsichtbarer Menschen.
    Eine ganze Bevölkerung kam und ging in der Dunkelheit auf schwarzen Kähnen. In dem Schweigen der Albufera, die die Geräusche bis zu erstaunlichen Entfernungen forttrug, dröhnten Hammerschläge zum Einrammen der Pfähle, und wie rote Sterne blitzten an der Oberfläche des Wassers die brennenden Grasbündel, bei deren Licht die Bootsführer ihre Jagdvorbereitungen beendigten. Wie sollte er vorwärtskommen, zwischen Leuten hindurch, die ihn kannten, mit diesem weinenden Neugeborenen, dessen Klage inmitten des Sees unerklärlich erscheinen mußte? ... Ein Boot kreuzte seinen Kurs, in ziemlicher Entfernung, doch in Rufweite. Und ohne Zweifel verwunderte man sich

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