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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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über diese ungewohnten Laute, denn eine Stimme rief herüber:
    »Hallo, Kamerad! Was hast denn du bei dir?«
    Tonet antwortete nicht, sondern sank kraftlos am Heck des Nachens nieder. Er gab es auf – wie ein Nachzügler, der sich zu Boden wirft trotz der Gewißheit, daß er dem Feind in die Hände fallen wird. Die Angst hielt ihn ab weiterzufahren ... er fühlte sich unfähig, sein Versprechen einzulösen. Mochte man ihn überraschen, mochte man alles erfahren, was geschehen war, mochte Neleta ihre Erbschaft verlieren ... Er konnte nicht mehr! Aber kaum hatte er diesen verzweifelten Entschluß gefaßt, so glomm in ihm eine Idee auf, die sein Hirn versengte. Zuerst ein zuckendes Fünkchen, dann eine glühende Kohle, dann eine lodernde Flamme, die zur Feuersbrunst wurde und seinen heißen Kopf zu sprengen drohte, während ein eiskalter Schweiß seine Stirn bedeckte.
    Warum auch weiterfahren? ... Neleta wollte, daß dieses Zeugnis ihres Fehltritts verschwände ... Welches Versteck war dafür geeigneter als die Albufera, wo so oft von der Justiz gesuchte Männer den schärfsten Verfolgungen entgingen? ...
    Zwar zitterte er bei dem Gedanken, daß der See dieses gebrechliche Körperchen nicht lebend bewahren würde. Aber war das Leben des Kindes gesichert, wenn er es in irgendeiner Gasse der Stadt aussetzte?...
    »Ah, Tote kommen nicht wieder, um die Lebenden bloßzustellen!«
    Und Tonet fühlte bei diesen Betrachtungen die Härte der alten Palomas in sich erwachen, die ihre Kinder ohne eine Träne sterben sahen, mit dem egoistischen Gedanken, daß ihr Tod für die Familie der Armen etwas Gutes bedeutet, weil dank ihm für die Überlebenden mehr Brot bleibt.
    In einem lichten Moment schämte er sich seiner Schlechtigkeit, der Kaltblütigkeit,mit der er den Tod des kleinen Wesens in Erwägung zog, das zu seinen Füßen lag und jetzt verstummt war, wie erschöpft von dem wütenden Jammern. Einen Augenblick hatte er es in Palmar betrachtet, aber ohne die geringste Rührung empfunden zu haben. Er rief sich das blaurote Gesicht wieder in sein Gedächtnis zurück, die abstehenden Ohren, den spitzen Schädel, den enormen Mund, der sich von einem Ohr zum anderen zog: ein lächerlicher Froschkopf, der ihn kalt ließ. Und trotzdem war es sein Kind! ...
    Er dachte wieder an Neletas Vermögen und ihr Bemühen, sich diesen Besitz ungeschmälert zu erhalten. War es klug, seine glücklichen Chancen, die ihm ein faules Wohlleben ermöglichten, aufs Spiel zu setzen, um eine kleine, häßliche Kreatur – in nichts anders als alle Neugeborenen – zu schonen, bei deren Anblick sein Herz auch nicht ein bißchen schneller schlug?
    Sein Schwanken war kurz. Mit der Verbrechern eigenen Blindheit, die Grausamkeit und Mut verwechselt, machte er sich Vorwürfe wegen seiner Schwäche, die ihn wie angenagelt am Heck festhielt, während die Zeit verging. Die Dunkelheit lichtete sich mehr und mehr; man ahnte den Anbruch des Tages. Am grauen Morgenhimmel glitten gleich fortlaufenden Tintentropfen ein paar Vogelschwärme vorbei. Weit fort, nach Saler zu, klangen die ersten Schüsse. Von Hunger und Morgenkälte gequält, begann das Kind von neuem zu wimmern.
    »Kubaner, bist du es?«
    Tonet glaubte von einem fernen Boot diesen Ruf zu hören. Und die Furcht, entdeckt zu werden, brachte ihn auf die Füße. In seinen Augen blitzte ein Fünkchen, ähnlich dem, das manchmal in den grünen Augen Neletas aufglimmte. Er stakte sein Boot ins Röhricht, zwängte sich in die schmalen Wasserarme, die sich kreuz und quer hindurchschlängelten. Von einem Dickicht jagte er ins andere. Der Bug seines Nachens schob Binsen und Schilf beiseite, knickte das widerstrebende Rohr, um sich Bahn zu brechen, und bisweilen ließen die irrsinnigen Stöße ihn knirschend auf beinahe trockenem Grund über dicke Wurzeln rutschen.
    Tonet floh, ohne zu wissen vor wem. Mehrere Male beugte er sich zum Boden des Boots, streckte die Hand aus nach dem Leinwandpaket und zog sie sofort wieder zurück. Aber als das Boot mit einem Ruck in einem dicken Wurzelknäuel festsaß, griff der Elende, als wollte er es um ein ungeheures Gewicht erleichtern, nach dem Bündel, das er mit aller Kraft über seinen Kopf nach rückwärts schleuderte.
    Das Paket verschwand in dem knackenden Rohr. Die Tücher bewegten sich einen Moment im schwachen Licht der Morgendämmerung wie die Flügel eines weißen Vogels, der tot in die unergründliche Tiefe fällt.
    Und von neuem empfand der Schurke die Notwendigkeit zu

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