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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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Julka ist gekommen, ohne Andrusch. Der war damit beschäftigt, mit meiner Schwester Tanja zusammen sein Haus von oben bis unten zu dekorieren. Es ist nicht zu glauben, aber auf seine alten Tage wird er jedes Jahr an Weihnachten so sentimental, dass er in die Einrichtungsläden fährt und sein beleuchtbares Dekorationssortiment aktualisiert. In diesem Jahr hat er eines dieser LED -Lichternetze gekauft, die man vom Balkon herunterhängen lassen kann.
    »Der benimmt sich jedes Jahr mehr wie ein deutscher Rentner«, sagt Julka – auch jedes Jahr – kopfschüttelnd zu mir, wenn ich in der Vorweihnachtszeit zu Besuch bin.
    Aber mehr sagen wir beide lieber nicht, sondern gehen hinters Haus, wo Julka eine Zigarette raucht, und versuchen, die elektrischen Rentiere im Garten nicht umzuwerfen. Mal sehen, wann ihm auffällt, dass Julka eins davon verpackt und zu ihrem Bruder nach Serbien geschickt hat.
    Deutschland
    Kurz nachdem Julka in Deutschland angekommen war, betrat der erste Mensch den Mond. Sie saß mit allen Kolleginnen vor dem Fernseher im Frauenwohnheim und sah zu, wie Neil Armstrong auf dem Mond umherging. Sogar meine Großmutter Irma und ihr Sohn Johannes, die nur wenige Tage danach an die Nordsee aufbrechen wollten, um Irmas Genesungsprozess zu unterstützen, ließen sich das Ereignis nicht entgehen.
    Auch Magdalena und Giese sahen die Mondlandung, und als vier Monate später der dritte Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte, hatten sich Julkas und Magdalenas Lebensfäden bereits miteinander verknüpft, ohne dass sie das Geringste davon ahnten.
    »Hier ist nicht sauber geputzt«, sagte die Oberin und stieß die serbische Putzfrau mit ihrem Krückstock in die Seite.
    »Ich weiß, wir sind ein Krankenhaus«, sagte Julka.
    Das Gesicht von Schwester Oberin war meistens mehr oder weniger rot. Im Zusammenhang mit Julka war es stets tiefrot. Die Oberin hasste Julka von Anfang an.
    »Warum Vorhang?«, hatte Julka gefragt, als sie das Zimmer, in dem sie mit zwei anderen Frauen leben sollte, das erste Mal betrat.
    Es war ein schmaler Raum mit nur einem Fenster, einem kleinen Tisch darunter und rechts und links davon je zwei Stockbetten. Einen Schrank gab es nicht (»Motten«, sagte die Oberin). Und eine Tür für das Zimmer auch nicht.
    Statt einer Antwort untersuchte die Oberin das Gepäck. Die Frauen mussten ihre Koffer und Taschen aufmachen und alles, was sie mitgebracht hatten, auf dem kleinen Tisch vor der Oberin ausbreiten. Lebensmittel wurden kon ­fisziert, zusätzlich verschwand der eine oder andere Lippenstift in den Gewandtaschen der Nonne.
    »Wer bezahlt?«, fragte Julka, als sie sah, dass die Oberin alles in eine große Plastiktasche packte, die sie offensichtlich mitnehmen wollte.
    »Es ist verboten, Lebensmittel in den Schlafsälen zu haben«, sagte die Oberin.
    Eine musste ihren Kocher abgeben, eine andere ihre Streichhölzer.
    »Brandschutz«, war die knappe Erklärung.
    »Warum nicht kochen?«, fragte Julka.
    Die Oberin überging ihre Frage.
    Julka wiederholte ihre Frage:
    »Warum nicht kochen?«
    Die Oberin musterte die klapperdürre Julka von oben bis unten und sagte mühsam beherrscht:
    »Lernen Sie, Ihre Fragen in korrektem Deutsch zu stellen, dann werden Sie eine Antwort bekommen.«
    Dann tippte sie mit ihrem Zeigestock energisch auf die ausgehängte Hausordnung und verließ den Raum. Hätte er eine Tür gehabt, so hätte sie diese mit einem Krachen zugeschlagen.
    Die Frauen gingen hinüber zu dem Papier an der Wand.
    »Fluchtwegeplan«, las Julka laut.
    Heimlich kochten sie doch. Die Frauen des ganzen Stockwerks taten sich zusammen und teilten. Eine stand am Eingang des Flurs Schmiere, die anderen holten aus ihren Kleidertaschen die hereingeschmuggelten Vorräte.
    Sie kochten sonntags, während des Gottesdienstes. Zu den Glocken für das Vaterunser mussten sie fertig sein, damit sie Zeit genug hatten, um zu lüften.
    Sie kochten bulgarisch und serbisch, kroatisch, ungarisch, türkisch und rumänisch. Egal was es war, es schmeckte nach Deutschland und nur ein winziges bisschen nach Heimat .
    »Warum kommt ihr nicht zum Mittagessen in den Speiseraum?«, fragten die Wohnheimmitarbeiterinnen erstaunt.
    »In Osteuropa isst man sonntags nur Brot«, behaupteten die Frauen treuherzig.
    Eine heiratete später einen ungarischen Kollegen und eröffnete in der Stadt das erste Geschäft für Lebensmittel aus den Herkunftsländern der Gastarbeiter. Das geschah jedoch erst, als längst der Anwerbestopp

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