Suna
Eichhörnchen durch die Pension und suchte zusammen, was die beiden unterwegs benötigen könnten.
»Nein! Sie nehmen natürlich meinen Rucksack«, sagte sie, als Magdalena mit ihrem abgeschabten Männerrucksack daherkam (ein Erbstück ihrer Brüder).
»Ach schade, Sie haben zu große Füße für meine Wanderstiefel«, bedauerte Irma nach einem ausführlichen Blick auf Magdalenas Vorkriegsware.
»Mutter, Wanderschuhe kann man nicht verleihen, sie passen sich dem Fuß individuell an«, sagte Johannes, der unbeholfen im Weg stand, mit den Händen in den Hosentaschen.
Magdalena war beeindruckt vom praktischen Wissen dieses Mannes und der Fürsorge seiner Mutter. Märthe würde sich ganz genauso benehmen.
Als sie sich gemeinsam mit Johannes schließlich (»Um Gottes willen! Kinder! Ihr müsst!«) auf den Weg machte, war sie fast ein wenig traurig, die Wanderung nur mit Johannes anzutreten und nicht auch mit Irma.
Julka hatte im Zug ein ganzes Abteil für sich. Ihre Reisetasche war nur halb voll, denn dieses Mal hatte es keine Tante gegeben, die ihre Vorratsschränke leerte für Julka, und von den Freundinnen wollte sie nichts nehmen.
»Behaltet alles, ihr braucht es doch selber«, hatte sie zu jeder gesagt, die ihr etwas schenken wollte.
»Zündet das Wohnheim nicht an, Brandschutz«, hatte sie lachend gerufen, und dann war sie alleine zum Bahnhof gegangen, weil sie Abschiede hasste und sich (wenn sie ganz ehrlich war) schon verloren genug fühlte.
Sie war noch immer in Deutschland. Wohin hätte sie auch zurückkehren sollen? Zur Tante? Um dort auf die Schweine aufzupassen, die Edita neuerdings hielt, weil das Stadtleben auch in der neuen sozialistischen Marktwirtschaft nicht mehr so leicht war?
Ihr Bruder hatte unterdessen geheiratet und auch dort gäbe es nicht auf Dauer Platz für sie. Nein, sie musste sich hier durchschlagen, wenigstens noch das eine Jahr, das ihr zustand. Rotationsverfahren nannten die Deutschen das, als hätten sie die Gerechtigkeit neu erfunden. Dabei brachte es nur neues Leid, wenn man nach zwei Jahren zurückmusste, um einer anderen Platz zu machen, und zu Hause keine Arbeit fand und keine zweite Chance bekam.
Nicht wenige verschwanden kurz vor Ablauf der Frist in die Illegalität oder sie heirateten kurzerhand einen, der sie nahm. Das konnte sich Julka nicht vorstellen. Aus Zweckmäßigkeit zu heiraten. Nicht einmal wegen einem Kind, dachte sie. Aus Liebe. Wenn, dann nur aus Liebe. Aber das war weit weg. Jetzt war sie unterwegs zu ihrer neuen Arbeit. Keine Putzlappen mehr, keine kranken Menschen, nie mehr den unerfüllbaren Traum, Ärztin zu werden, vor der Nase. Jetzt reiste sie in eine neue Stadt, die »Schwarzwald« hieß, so jedenfalls hatte es Frau Jost ihr gesagt.
Die Tür zu ihrem Abteil ging auf, und herein kamen zwei Männer, vielleicht im selben Alter wie sie. Der eine sieht aus wie ein Dichter, dachte Julka. Der andere war so dunkel und bärtig wie die anatolischen Ehemänner auf den Hochzeitsfotos ihrer türkischen Kolleginnen aus dem Krankenhaus.
Der anatolisch aussehende Mann kam herüber zu Julka, während sein Begleiter unschlüssig an der Abteiltür stehen blieb.
»Guten Tag«, sagte der Anatole auf Deutsch.
» Merhaba «, sagte Julka.
»Du sprichst Türkisch?«, fragte der Mann überrascht.
» Evet «, sagte Julka. »Aber nur ein kleines bisschen«, fügte sie hinzu. »Von den Kolleginnen gelernt.«
»Du sprichst sehr gut«, sagte der andere und nickte anerkennend.
Sie grinste und zeigte auf die freien Plätze im Abteil.
»Ihr könnt euch ruhig hinsetzen.«
»Mein Name ist Do ğ an«, sagte der erste Mann, ohne ihrer Aufforderung nachzukommen.
»Ich bin Julka«, antwortete sie.
»Und das hier«, sagte Do ğ an und wies auf den anderen, der Julka noch immer ansah, »das ist mein Bruder Kamil.«
Julka richtete beide Augen auf Kamil. Draußen flog die Landschaft vorbei und wurde dunkler, rauer und bergig.
Drinnen wendete Kamil seinen Blick nicht ab, und Julka erwiderte ihn stolz.
»Ich hole Getränke«, sagte Do ğ an nach einer Weile.
»Limonade für mich«, sagte Julka.
Kamil nickte.
» Tamam «, sagte er.
Do ğ an verließ das Abteil.
Kamil setzte sich Julka gegenüber.
»Wohin fährst du?«, fragte Julka auf Deutsch.
So alleine mit ihm schien es ihr nicht mehr angemessen, seine Sprache zu benutzen.
»Verloren«, antwortete Kamil.
»Verloren?«
»Vergessen«, sagte Kamil und lächelte das erste Mal.
Er kramte in seiner Jackentasche
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