Suna
Julka. »Er dachte, wir meinen kunduz«, und Kamil wischte sich die Tränen aus den Augen.
In Julkas Unterkunft gab es keine so strengen Regeln mehr wie bei den Ordensschwestern im Krankenhaus. Sie durfte Besuch mitbringen und nach Herzenslust kochen.
»Çorba«, sagte Kamil glücklich auf Türkisch, wenn sie ihm serbische Karfiol č orba vorsetzte und ihm strahlend erzählte, wie der deutsche Gemüsehändler sich schon wieder gefreut hatte, dass sie das alte Wort für seinen Blumenkohl noch kannte.
Wenn Kamil für sie kochte, war es ein Abenteuer, denn er tat sich schwerer, mit dem Einkaufen und mit dem Deutschen, und so gab es meistens Rührei mit »allem, was im Laden gut aussah«.
Kurz nach dem Jahreswechsel besuchte Johannes Magdalena und Giese. Seine Augen glänzten, wenn er von seiner Zugreise sprach, und manchmal stand er sogar auf, um uns Kindern mit ausladenden Gesten zu verdeutlichen, wie unglaublich die technische Leistung gewesen war, wie gewaltig die Vision, ein ganzes Streckennetz mit Elektrizität zu versorgen – jedoch fiel auch uns im Laufe der Jahre auf, dass seine Leidenschaft augenblicklich verebbte, sobald der Zug in seiner Erzählung am Bahnhof hielt und Magdalena erwartungsvoll am Bahnsteig stand.
Sie schrieben einander Briefe. In Magdalenas kleiner Wohnung über Jorgensens Laden gab es kein Telefon und Johannes sprach ohnehin nicht gern mit einem Gerät. Lieber saß er nach dem Abendessen am Küchentisch und schuf lebendige kleine Tuschezeichnungen seiner Erlebnisse, versehen mit klugen und immer pointierten Kommentaren.
Magdalena erhielt Illustrationen vom Haus seiner Mutter und dem Rosenstrauch im Garten (»Rosa Borbonica«), von den winterlichen Hügeln um seine Heimatstadt und von der Kurstadt, in die er Irma im folgenden Frühsommer begleitete.
Er schrieb kurzweilig von seinem Institutsleben, viel kurzweiliger, als er in Gesprächen war, die mitunter schleppend und einsilbig verliefen.
Als er schrieb, er habe seine Doktorarbeit nun eingereicht, schlug Magdalena endlich vor, sich noch einmal an der Nordsee zu treffen. Einen längeren Besuch bei ihrer Mutter stellte sie ebenfalls in Aussicht. Eventuell könnte auch ihr Bruder Konstantin »auf einen Sprung«, so schrieb sie, vorbeikommen, sicher sei das nicht, seine Frau sei gerade schwanger, mit dem fünften Kind.
Im späten Herbst, nach einem erfreulichen gemeinsamen Urlaub, getrennte Zimmer inklusive, ergriff Johannes auf Irmas Anraten hin schließlich die Initiative und lenkte die Beziehung in geordnete Bahnen. Er bereitete einen Heiratsantrag vor.
Eine gewisse Begeisterung erzeugte dabei die Aussicht auf Pläne, die er jetzt machen konnte. Stunden brachte er damit zu, Konditoreien mit Pralinenabteilung zu besuchen, Probestückchen zu sich zu nehmen und schließlich nach einer geeigneten Verpackung zu suchen. Magdalena kam ihm erst wieder in den Sinn, als er sich überlegen musste, welche Art von Ring am ehesten ausdrücken würde, was er zu sagen hätte (der Text, den er beilegen würde, war schon länger fertig).
Er beriet sich mit dem Juwelier über Schliff und Herkunft, über Reinheitsgrade und Ringbreiten. Über Mischungsverhältnisse. Schließlich über die Ehe.
Das war der Moment, der ihn kurz zweifeln ließ, und eine Erinnerung, fast eine Sehnsucht, an eine andere Frau überkam ihn, einer wahren Gefährtin, einer selbstgewählten. Auf dem Heimweg vom Institut ging er manchmal an ihrem Elternhaus vorbei, das längst von anderen bewohnt war. Über Claudias Verbleib wusste er nichts und es wäre ihm niemand eingefallen, den er hätte fragen können.
Zu Hause bei Irma und Thea angekommen, schalt er sich einen Tölpel, der wirren und unerreichbaren Träumen nachhing, und griff nach dem Reellen, dem Naheliegenden. Und je länger er über Kakaosorten sprechen konnte, über Pralinen und Goldvorkommen für den Ring, umso rascher erlangte er den Zustand innerer Befriedigung, die er für erwachsen und angebracht hielt.
Irma wird ihm geduldig zugehört haben, so wie sie ihn immer Pläne machen ließ, solange diese innerhalb ihres Wirkungskreises spielten, womöglich köpfte sie dabei ein wachsweiches Ei für ihn und legte ihm mit Butter bestrichene Knäckebrote auf den Teller.
Jahre später, als ich mich nachts heimlich aus genau diesem Haus schleichen musste, um an den Stamm des Kirschbaumes im Garten gelehnt müde eine zu rauchen, begleitete mich mein Vater Johannes, der bei der Schilderung seiner
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