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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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noch rechtzeitig, so kam er genau in dem Moment in die Kneipe, als Ahmed mit glasigen Augen das Papier aus dem Umschlag zog und verkehrt herum ins Neonlicht hielt und so tat, als verstünde er alles, was da steht.
    Er nickte und ließ seine Augen über den Text fliegen, zwischendurch brummte er » Evet «, » tabii «, »aha«, »hm«, aber da riss ihm Kamil auch schon das ­Schreiben aus der Hand und brüllte ihn an, dass er ja wohl bescheuert sei und dumm wie Schafscheiße, wie er bloß den Zug nach Deutschland gefunden hätte, nicht mal lesen könne er, der Idiot!
    »Aber das hier kenne ich«, sagte Ahmed ungerührt und zeigte auf das Wappen, »das hier ist vom Militär, Kamil, und es ist deine Einberufung, da wette ich mit dir.«
    Einberufung.
    Damit hatte Kamil nicht gerechnet, mit allem, nur nicht damit. Er hatte alles verdrängt, was mit seinem früheren Leben zu tun hat, weggeräumt in einen dicken, hölzernen, türkischen Schrank. Jetzt hat er sich verzogen, der Schrank, in der Winterkälte, und seine Türen sind aufgesprungen und haben sein Geheimnis preisgegeben.
    Aber froh war er dennoch, denn mit einem Mal sah er die Lösung für seine Probleme: Er geht für drei Jahre in die Türkei, unumgänglich ist das ja jetzt geworden, und kommt zurück als ein freier Mann. Frei.
    »Drei Jahre?«, fragte Julka erschrocken.
    »Drei Jahre, das geht schnell.«
    »Das sind eintausend Tage«, sagte Julka und fragte ihn, wann er dort hinmuss, und will den Brief selber sehen und selber lesen, aber er gibt ihn nicht her, warum nicht?
    »Julka, meine Liebste, wenn ich zurückkomme, dann bin ich frei!«, sagte er.
    Verändert war er, als wäre eine Last von seinen Schultern gefallen, aber für Julka war es, als läge sie nun doppelt so schwer auf ihren. Was sollte sie bloß machen, drei Jahre lang ohne Kamil? Das Kind kam doch. Und wie sollte sie arbeiten, das würde sie ja jetzt müssen, wenn er weg war und niemand Geld brachte.
    »Heiraten wir noch vorher?«, fragte sie, aber davon wollte Kamil nichts mehr hören.
    »Wenn ich zurück bin, Julka, wenn ich zurück bin.«
    »Wenn«, sagte Julka, »wenn.«
    Ihre Tochter wurde geboren, und sie nannten sie Emine, nach Kamils Mutter, und außerdem Tanja, damit sie einen deutschen Namen hatte für das Leben hier.
    »Keine Maus«, sagte Julka nach der Geburt erschöpft zu Kamil und Do ğ an, nein, keine Maus.
    Frau Jost kam ins Krankenhaus und gratulierte, sie brachte Blumen für Julka und Kleider für die schöne Tochter. Andrusch kam auch.
    »Hübsches Kind hast du da«, sagte er zu Kamil, »wird Zeit, dass es einen richtigen Vater bekommt, was sagst du, Kamil?«, und Julka spürte, dass da etwas war zwischen den beiden Männern, von dem sie nichts wusste.
    »Wie lange kann ich zu Hause sein mit Emine?«, fragte Julka.
    »Acht Wochen normalerweise«, sagte Frau Jost, und man sah ihr an, dass auch sie gesehen hatte, dass zwischen Andrusch und Kamil etwas nicht stimmte.
    Ingrid saß heulend vor Freude über das Baby am Krankenhausbett und wollte es Julka fast nicht mehr zurückgeben.
    »Du wirst noch lang genug auf sie aufpassen müssen, wenn ich wieder arbeite«, sagte Julka.
    »Schwör mir, dass du keinen anderen ansiehst, solange ich weg bin«, sagte Kamil an dem Abend, bevor sein Zug ging.
    »Ich schwöre es«, sagte Julka.
    »Schwör mir, dass du kein Wort glauben wirst, wenn dir einer etwas erzählt über mich, das du nicht von mir gehört hast, schwörst du?«
    »Ja«, sagte Julka.
    In der letzten gemeinsamen Nacht machte keiner ein Auge zu, zusammen saßen sie in ihrer kleinen Küche, gingen abwechselnd zu Emine, wenn sie weinte, und rauchten und tranken Tee.
    Als der Morgen kam, kochte Julka das letzte Mal Kaffee für sie beide.
    »Ich gehe jetzt«, sagte Kamil.
    »Verschwinde schon«, sagte Julka.
    »Ich rufe dich bei Andrusch an«, sagte er.
    Doch dann wird Emine krank. Sie wird immer dünner. Julka gibt ihr Kuhmilch zu trinken, davon bekommt sie Ausschlag. Ingrid begleitet Julka zum Kinderarzt.
    Der spricht von teuren Medikamenten und einer Kur.
    Julka hat das Geld nicht und kann nicht zur Kur, sie muss arbeiten, sonst kann sie nicht in Deutschland bleiben.
    Ingrid rät ihr, es bei der Kirche zu versuchen, die hätten ein Kinderkurheim in der Nähe, und Julka sei doch schließ­lich beinahe katholisch.
    Sie begleitet Julka zum Kinderheim und dolmetscht für sie, obwohl das nicht nötig ist, und Julka denkt, sie könnte der katholischen Heimleiterin besser erklären,

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