Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
Vom Netzwerk:
Vielleicht weil es eine sozialistische war, die taugen einfach nichts.
    Sie sieht nicht, wie Andruschs Gesicht sich verfinstert.
    Dann sitzen sie alle und lesen und sind still geworden, weil Julka den Brief einer Frau an ihren Mann gebracht hat, und dieser Mann ist Kamil. Kein Zweifel mehr.
    Sevgili Canım, geliebter Ehemann, wie freue ich mich zu hören, dass Du bald kommst, dass Du bald wieder bei mir sein wirst und bei Merhat und Mizgin, die Dich vermissen, wie nur Kinder ihren Vater vermissen können. Schreib mir, wann Du kommst, dann schicken wir den Onkel mit dem Wagen, um Dich am Busbahnhof abzuholen. Deine Ehefrau Ayse.
    Ahmed hat schon einen ziemlich glasigen Blick, obwohl erst Mittag ist. Er schlägt auf den Tisch und sagt, er würde Kamil den Hals umdrehen.
    »Warum?«, fragt Julka.
    »Weil er es dir nicht gesagt hat.«
    »Du hast es gewusst?«
    »Eintausend Höllen soll er durchwandern, eintausend«, ruft Ahmed, der überhaupt nichts mit dem Glauben am Hut hat. »Für solche wie Kamil«, sagt er, »gibt es nicht genügend Teufel, so ist das.«
    Und keiner merkt, wie Andrusch hinter seiner Theke steht und sehr angestrengt seine Gläser poliert und überhaupt nichts sagt. Andrusch, der einmal dabei war, als Do ğ an und Kamil geredet haben, der genügend Türkisch versteht und eins und eins zusammengezählt hat und, seit Kamil weg ist, jeden Tag gehofft hat, dass es gutgeht, weil Kamil ihm versprochen hat, bei allem, was ihm heilig sei, Julka keinen Schmerz zuzufügen.
    »Ich verspreche es dir«, hat Kamil gesagt, »aber sag ihr nichts davon. Do ğ an und ich, wir regeln die Scheidung, wir haben schon alles vorbereitet, glaub mir, aber sag Julka bloß nichts davon. Bis ich zurück bin, ist alles ­erledigt. Sie muss doch nichts erfahren, du kennst doch Julka, sie ist wie du, sie verzeiht nicht.«
    Wahrlich nicht!
    Denn wenn schon der Mann seine Frau verlassen hat und der Vater seine Tochter, dann wird sie Emine ab jetzt bei ihrem deutschen Namen nennen, wofür hat sie ihr den gegeben! Wenn der sich je wieder blicken lässt, soll er hier keine Tochter mehr haben. Und wehe, einer verrät ihm ein Sterbenswörtchen darüber, dass sie alles weiß! Niemand, auch Ahmed nicht, das muss er ihr versprechen. Sie lässt ihn schwören, dass er Kamil nichts sagt, obwohl er mit ihm groß geworden ist, und so wie Julka ihn anschaut, hätte Ahmed ihr alles geschworen.
    Bald sagt Tanja Mama zu Julka.
    Tanja lernt laufen, als Julka im Kinderheim zu Besuch ist.
    Aber Tanja will am Wochenende nicht bei Julka in der Stadt übernachten, sondern nach Hause zurück. Zu Hause ist bei Schwester Bonifazia und den anderen Kindern im Heim.
    Da kommt Julka das erste Mal freitags nicht. Sie sitzt mit Ingrid bei Andrusch und trinkt Schnaps. Nur einmal will sie das machen. Ganz bestimmt. Der Schnaps hilft ihr so gut zu vergessen, was mit Kamil gewesen ist, und leichter wird es, seine Briefe ungelesen zu verbrennen. Der Schnaps macht es sogar leichter, an Tanja zu denken.
    Es werden mehr Nächte ohne Schlaf, weil bald nichts mehr hilft, die Tränen zu verhindern, die geweint werden müssen. Damit es aufhören kann zu schmerzen, immer und immer neu, wenn wieder ein Brief kommt von Kamil, der nicht weiß, warum sie nicht antwortet. Der doch fast gar nicht schreiben kann und sich so müht, weil er nicht ahnt, dass sein dummes Theater aufgeflogen ist.
    Weil die Sehnsucht nicht aufhört nach ihm und seinen Händen, nach ihm und seiner Stimme und nach ihm und seinem Gesicht. Weil es stimmt, was die Leute sagen, dass man weniger ist als die Hälfte, wenn der andere fort ist, und weil sie an ihren Vater denkt, der nicht mehr leben wollte, als ihre Mutter starb, und jetzt, jetzt endlich versteht sie und weiß, wie man grau werden kann im Gesicht, einfach nur, weil man übrig ist.
    Dass man seine Kinder vergisst, weil man trinken will, und nur deswegen weiter laufen kann, weil man schon so lange lebt, dass die Füße den Weg von allein gehen, und man seine Arbeit nur deswegen nicht verliert, weil die Finger auf dieselbe Art funktionieren (und weil Frau Jost ihre schützende Hand hält über Julka, warum, weiß sie selbst nicht).
    Es werden mehr Freitage ohne Tanja, vielleicht zehn oder zwölf. Oder mehr.
    »Wollen Sie denn nicht Urlaub nehmen? In die Heimat fahren mit Tanja?«, fragt Frau Jost, als die anderen Pläne machen für den Sommer.
    »Welche Heimat«, sagt Julka nur.
    In der Kneipe haben sie nur ein Thema: den Anwerbestopp. Sie schimpfen auf

Weitere Kostenlose Bücher