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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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die Deutschen, denen man jahrelang Kindergeld abluchsen konnte, auch für welche, die es gar nicht gab, und die sich dann so eine Katas­trophe einfallen lassen: Keine neuen Arbeiter aus der Türkei ab sofort.
    Viele fragen sich, ob als Nächstes einer kommt und sie zurückschickt, weil die Behörden gemerkt haben, wie teuer sie werden, weil sie alle bleiben wollen, statt sich die Rentenansprüche auszahlen zu lassen.
    Manche schimpfen das erste Mal auf die Deutschen, die wären dieselben Bürokraten wie die aus Ankara, und am meisten von allen profitieren jetzt die Dolmetscher, weil sich auch diejenigen, die die Sprache gut sprechen, nicht zutrauen, mit den Beamten zu verhandeln.
    Ob man besser dastünde, wenn man sich ein Haus kauft wie die Deutschen? Aber was, wenn man im Alter Sehnsucht bekäme nach dem Meer?
    »Bauen wir einfach hier und zu Hause«, sagt Ahmed, und dann erzählt er Julka und Ingrid von seiner Baustelle in der anatolischen Heimat.
    »Du baust? Einen Schafstall vielleicht«, grinsen die andern.
    »Ach was«, sagt Ahmed und überhört großzügig den Spott, »eine Villa. Für meine Familie.«
    »Ist deine Frau endlich schwanger?«, fragt Andrusch.
    »Nein«, sagt Ahmed, »aber das wird sie dann dort.«
    »In deinem neuen Haus geht es leichter, meinst du?«, sagt Andrusch und lacht.
    »Was verstehst du schon von Frauen«, sagt Ahmed, aber Andruschs Blick bringt ihn zum Schweigen, und er wendet sich wieder Ingrid und Julka zu.
    Ingrid nickt unmerklich, und dann fängt er mit einem Mal an zu jammern. Über die Arbeiter dort und ihre Unzuverlässigkeit. Seine Sorgen wegen des neuen Bads. Der neuen Küche. Und überhaupt der ganzen Sache.
    »Ich kann erst im Sommer fahren, wenn das Werk schließt, aber soll ich mein Kind vielleicht in einer Ruine zeugen?«
    Das versteht man. Das geht nicht.
    »Ich brauche jemanden vor Ort«, sagt er, »jemanden, der aufpasst auf mein Haus, bis ich komme.«
    »Das könntest du doch machen«, scherzt Ingrid und stößt Julka mit dem Ellbogen in die Seite. »Billiger kannst du nicht in Urlaub fahren, und du weißt ja jetzt, auf was es Ahmed in seinem Haus ankommt«, grinst sie und zwinkert ihm zu. Warum eigentlich?
    »Wann?«, fragt Julka da.
    »Jetzt«, sagt Ahmed, und ist da nicht ein Lächeln in seinem Gesicht, das nicht passen will zur Aufregung und zum Groll?
    »Wie komme ich dahin?«, fragt Julka, und als sie das weiß, kauft sie am Busbahnhof eine Fahrkarte nach Yozgat.
    Sie geht zu Frau Jost und meldet sich für einen Monat ab, dann fährt sie ins Kinderheim und sagt Schwester Bonifazia, sie reise in die Türkei, da gebe es zu tun für sie, ein Haus bewohnen, bis Freunde kämen, sie wisse auch nicht, warum sie so lange nicht vorbeigekommen ist, das ändere sich dann.
    »Nächsten Monat«, sagt sie.
    »Ich weiß«, lächelt Schwester Bonifazia und gibt ihr ein Foto von Tanja, auf dem das Kind lacht, von einem Ohr zum anderen.
    Im Bus ist es heiß. Julka hat zwei Sitze für sich, zum Glück. Sie kann sich ausstrecken und schlafen und muss nicht unentwegt an den Gestank denken, der vom Eimer herüberweht. Der Fahrer lässt ihn rumgehen, wenn eine kotzen muss, sind ja fast nur Frauen hier, und man weiß nicht, kotzen sie wegen der Schaukelei oder weil sie was Kleines im Bauch haben, das sie in der Heimat lassen wollen, damit sie zurückkönnen in die Bundesrepublik. Kinder kann niemand brauchen, wenn man in der Fabrik am Band steht oder putzen muss in einem Krankenhaus.
    Sie denkt an Tanja und zählt die Tage, die sie ihre Tochter nicht mehr gesehen hat.
    Im Bus hat sie nur mit einer Bulgarin gesprochen, die ein bisschen Türkisch kann und ein bisschen Deutsch, beim Rauchen draußen, und Sichtschutz haben sie sich gegenseitig gegeben. An Scheißhäuser haben die Männer nämlich nicht gedacht, die hier Autobahnen bauen – oder das, was sie dafür halten.
    »Mir wird schon nicht der Arsch wegwehen«, hat die Bulgarin zuerst gesagt, als Julka ihr den Dienst angeboten hatte.
    Aber als der Fahrer jedes Mal wie zufällig ganz in der Nähe der Stelle aufgetaucht ist, die sie sich für ihr Geschäft ausgesucht hat, da hat sie es nicht mehr ausgeschlagen.
    »Fährst du bis Sofia?«, fragt sie.
    Julka nickt.
    »Noch weiter?«, fragt die andere.
    »Noch weiter«, sagt Julka.
    »Griechenland?«
    Julka schüttelt den Kopf und erzählt dann, so gut sie kann, von Ahmed und seiner Frau, die beide arbeiten und keine Kinder bekommen und nicht wissen, wohin mit ihrem Geld, und alles

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