Suna
Fotograf machte melancholische Bilder im Halbschatten.
Sie hatten mit Irmas Hilfe ein Haus in einem eingemeindeten Vorort von Johannes ’ Heimatstadt gekauft. Gleich nach der Hochzeit wollten sie es einrichten und beziehen. Sie verzichteten zugunsten der neu anzuschaffenden Polstergarnitur sogar auf die Flitterwochen.
Man kann festhalten, dass Johannes in den ersten Jahren wider Erwarten ausgesprochen zufrieden mit seiner Ehe war, denn er sah, dass auch hier mit feinen weißen Tischtüchern gedeckt wurde, auch hier mit einer Moltondecke darunter, um die Tischplatte vor den heißen Topfböden zu schützen.
Dass auch hier jeder seine eigene Stoffserviette hatte, mit einem eigenen Serviettenring. Dass es auch hier Tischgebete gab (sogar dieselben) und in der Speisenfolge nur ein klei ner Unterschied gegenüber dem früheren Zuhause bestand: Man aß den Salat zum Hauptgang und ohne Extratellerchen.
Auch hier musste er seinen Stuhl nach dem Essen in seine Abdrücke im Teppichboden zurückschieben, bis er mit einem leisen Plopp spürbar einrastete, auch hier gab es kleine Deckchen, die am Nachmittag über die Möbel gelegt wurden, damit das schräg einfallende Sonnenlicht das Holz nicht vorzeitig ausbleichte.
Auch hier tauschte man sich zum Mittagessen aus über die aktuelle politische Lage. Auch hier ging man sonntags gemeinsam zur Kirche, abwechselnd in den katholischen oder evangelischen Gottesdienst.
Anschließend besuchten sie ein gutes Restaurant, über das sie gelesen hatten, und spazierten an den Nachmittagen in den nahe gelegenen Park. Montags besuchten sie ein Orgelkonzert, dienstags arbeitete er abends lang im Institut, mittwochs nahm er sich den Nachmittag frei, und sie fuhren in die Stadt ins Museum oder unternahmen eine kleine Wanderung in der Umgebung. Donnerstags hatte Magdalena Chorprobe und freitags machten sie es sich zu Hause gemütlich, mit kleinen Knabbereien in getrennten Schälchen und einem guten Glas Rotwein. Für Johannes hätte sich nichts ändern müssen.
Magdalena jedoch wünschte sich nichts sehnlicher als eine große Familie.
Sonntag für Sonntag zündete sie in der Kirche eine Kerze am Nebenaltar an und erbat sich neuen Segen. Vor dem Fernsehgerät weinte sie um die Schicksale weit entfernt lebender Kinder und um die Ungerechtigkeit, mit der Gott ausgerechnet ihr die Mutterschaft so hartnäckig verweigerte.
Die teuren Möbel, die sie sich nun leisten konnten, die kulturellen Genüsse, die ihnen offenstanden – der gesellschaftliche Aufstieg, den sie vollzogen hatte, – was war das wert, wenn das Eigentliche nicht gelingen wollte?
Wofür reisen, wenn man niemanden hatte, dem man zeigen konnte, wie gut man sich eingearbeitet hatte in die neuen Bedingungen?
Womit gegenhalten, wenn es im Haushalt ihrer Schwiegermutter die erfolgreiche Apothekerin Thea gab, die so offenkundig zufrieden war ohne Ehe und ohne Kinder?
Wozu aber berufstätig sein, wenn auf der einen Seite die ehemaligen Schulkameradinnen in den Fabriken ihrer Heimatstadt nur arbeiten gingen, um alle Mäuler zu stopfen, und auf der anderen Seite Irma stets betonte, dass man es in Johannes’ Kreisen wohl kaum nötig hatte zu arbeiten?
Wie die Kluft zwischen Irma und ihr überwinden, die größer wurde, je länger sie mit Johannes verheiratet war? Je entschiedener sie ihre eigene Meinung vertrat und je häufiger sie mit Irma aneinandergeriet, umso kühler wurde Irmas Ton. Als sie einmal für ein Wochenende in die Berge gefahren waren, ohne Irma Bescheid zu geben (»Wir fragen doch nicht deine Mutter um Erlaubnis!«), hatte Irma tagelang kein Wort mehr mit ihr gesprochen.
Sah sie nur überdeutlich, was schon immer da gewesen war, oder war Irma erst mit der Zeit dazu übergegangen, sehr betont von » meinem Sohn« zu sprechen?
Einzig, wenn Irma allzu spitze Bemerkungen über die »einfachen Gemüter« machte, die man mit »billigen amerikanischen Vergnügen« wie dem Kino beglücken konnte, sprang ihr Thea bei. Und als in der Nähe der Apotheke ein Kurzwarenladen eine Aushilfe suchte, gab sie Magdalena einen Hinweis.
Magdalena begann, auf die Zukunft zu buchen. Jetzt stillhalten, jetzt lächeln, jetzt schweigen. Wenn erst Kinder da wären, würde sich das alles auszahlen.
Aber es war schwer. Es forderte Disziplin. So viel, dass ihr neue Stunden abhandenkamen und manchmal ganze Nachmittage in der Erinnerung, die sie füllen musste. Sie schlief unruhig und wachte kaum erholt in den frühen Morgenstunden auf, oft
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