Suna
Aktenschränken bis unter die Decke und der behördentypischen Grünlilie ausgestattet ist.
Sie sitzen hier wie jeden Monat, seit sie entschieden haben, ein Kind zu adoptieren.
Fast bekommt Johannes den Eindruck, man müsste nur eine der zahlreichen durchnummerierten, ansonsten aber identischen Holzschubladen aufziehen, und die zu adoptierenden Kinder würden ihm daraus entgegenspringen.
»Was ist aus den Zwillingen geworden?«, fragt Magdalena zur Eröffnung, wenn sie ehrlich ist, bedauert sie nämlich, sich nach Johannes gerichtet zu haben damals, nur weil er gesagt hatte, er wolle nicht die erstbesten Kinder nehmen und es gäbe doch mit Sicherheit noch andere. Monatelang gab es dann aber keins. Bis heute.
»Sie sind putzmunter und halten ihre Eltern ganz schön auf Trab«, sagt Frau Weigand.
»Keine zwei, da waren wir uns doch einig«, sagt Johannes, der nur »Zwillinge« gehört hat, lauter als beabsichtigt, und beäugt misstrauisch die Schubladen.
»Haben Sie … für uns?«, fragt Magdalena vorsichtig.
Frau Weigand zögert. Es ist nicht abgesprochen mit der Mutter. Es ist eigentlich überhaupt nicht sicher, ob man ihr Einverständnis bekäme. Es ist so, dass sie sich das Einverständnis der Mutter sozusagen ausleiht. Sie sieht Magdalena vor sich sitzen und ihre schönen Hände, die schöne Kleidung, die schöne Sprache, sie sieht das allgemeine Niveau – sie sieht die Chance für das Mädchen.
»Es ist schon ein Kleinkind.«
»Wie alt ist es genau?«
»Anderthalb«, sagt Frau Weigand.
»Ein Mädchen?«
»Ja«, sagt Frau Weigand.
»Ja«, sagt Magdalena.
Und zu Johannes’ Entsetzen wendet sich Frau Weigand tatsächlich zielsicher dem Schubladenschrank zu und zieht eine der oberen davon auf.
Nur Akten.
Johannes ist erleichtert. Die Hitze, denkt er, mir setzt die Hitze zu.
Papiere werden studiert, die Auskünfte sind zufriedenstellend.
Johannes sieht, wie seine Frau strahlt. Keine Gebrechen. Der Krankenhausaufenthalt von acht Wochen, das Weinen ohne Grund, ach, Kinder schreien schon mal, nicht? Diese Operationen werden nötig gewesen sein, wissen Sie da was? In der Entwicklung hinkt es etwas hinterher, kann ja fast nicht anders. Bekommen wir in den Griff.
»Das ginge«, sagt Magdalena, »das schauen wir uns an.«
Bildung geben. Erziehung. Liebe. Defizite ausgleichen. Eine Aufgabe, die fünf eigenen Kindern entspricht.
Marina ist süß und lacht. Sie hüpft in Pfützen.
Magdalena benutzt Frischetüchlein, um mikroskopisch kleine Schlammspritzerchen zu entfernen, »dann muss die Mutter das Mäntelchen nicht in die Reinigung bringen«.
Marina sagt »Durschd«, wenn sie meint, dass sie gerne etwas trinken möchte.
»Bitte« sagt sie (natürlich ) nicht.
»Die Sprache bekommen wir in den Griff«, sagt Magdalena.
»Es ist nur Dialekt«, sagt Frau Weigand.
»Das Kind sieht dir ähnlich, findest du nicht?«, sagt Magdalena zu Johannes.
Johannes sagt nichts, er ist hingerissen.
Dieses Kind, das sie hier besichtigen, ist ein richtiger Mensch, nur in Klein. Er hatte sich bislang keine genauen Vorstellungen davon gemacht.
Dieses Kind ist fröhlich! Es lacht.
Es sagt »Papa« zu ihm. Zu ihm!
Es rennt umher und kommt zurück, wenn man seinen Namen ruft! Er macht Rauchkringel, und das Kind lacht und springt danach. Es klettert auf seinen Schoß und lacht unablässig, wenn er Grimassen schneidet. Es will vorgelesen bekommen, sobald er ein Buch in der Hand hat.
Es gluckst, wenn er mit verstellter Stimme liest.
Das geht leicht, viel leichter, als er gedacht hatte.
Dieses Mädchen, das will er unbedingt in seiner Nähe behalten.
Unbedingt.
»Das Kind befindet sich bereits in Pflege«, sagt Frau Weigand wahrheitsgemäß und fügt etwas hinzu von »wirtschaftlichen Verhältnissen«.
Das dachte man sich doch in so einem Fall.
»Kleidung braucht es ganz neu«, sagt Magdalena entschieden.
Dafür gebe es Zuschüsse vom Amt, sagt Frau Weigand.
Bliebe noch das Entscheidende.
»Der Name«, sagt Magdalena. »Er passt überhaupt nicht zu uns. Kann man da was machen, was meinen Sie?«
»Es ist nur für die Übergangszeit«, sagt Frau Weigand. »Sobald Sie das Kind adoptiert haben, ist es einem leiblichen Kind gleichgestellt, das betrifft natürlich auch den Familiennamen.«
»Ich glaube, das war nicht ganz meine Frage«, sagt Magdalena. »Wir meinen eigentlich den Vornamen.«
Wie das klänge, Marina.
Ob sie sich nicht erinnern könne an dieses Lied, diesen Schlager? Muss vor ein oder zwei Jahren
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