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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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wir nicht verantworten, mit zwei kleinen Kindern und Ihrer Behinderung.«
    Eines sei ja schon kritisch, unter diesen Umständen.
    »Warum nicht?«, fragt Julka.
    »Wir haben andere Eltern gefunden für Ihre Tochter«, sagt Frau Weigand rasch, als sie sieht, dass Julkas Bestürzung in Zorn umzuschlagen droht (Zorn, den sie ja versteht, aber was soll sie machen?).
    »Was für welche?«, fragt Julka, gefährlich leise.
    »Eltern, die sich immer ein Kind gewünscht haben und keines bekommen können«, sagt Frau Weigand.
    Mit Geld und mit einer Perspektive. Frau Weigand redet und redet. Von Bildung und Schulen. Von Reisen, die diese Familie machen kann, Geld sei dort nicht das Problem, von der guten Integration und all den Aussichten für die Tochter. Sie sagt, das sei eine echte Chance, sozusagen ein Sechser im Lotto. Das käme nicht wieder, und die Frau, also die zukünftige Mutter, die wünscht sich so sehnlich ein Kind.
    Julka denkt an Ahmed und seine Frau, die endlich schwanger geworden war. Sie stellt sich Ahmeds Frau vor in ihrem Glück. Wenn Marina bei einer solchen Frau sein wird, ja, das ginge.
    »Wo wohnen die?«
    »Ach, irgendwo in Norddeutschland«, sagt Frau Weigand leichthin (die Lügnerin!), ein Lehrer sei es und eine Krankenschwester, ach, so nette Menschen, und vor allem die Perspektive!
    »Kann ich mein Kind weiter sehen?«, fragt Julka.
    »Nein, das geht leider nicht«, sagt Frau Weigand.
    Adoption heißt jetzt, ganz und gar hergeben.
    Es heißt, sich nicht verabschieden können.
    Mit der bisherigen Familie sei das anders gewesen, denn die seien ja schon bekannt, aber ein neues Elternpaar, das gehe nur inkognito.
    »Inkognito«, brummt Andrusch, »sind wir im Krieg?«
    Julka unterschreibt neue Papiere, sie liest nicht, was da steht.
    »Ist das für immer?«, fragt Andrusch.
    »Manche Adoptiveltern wollen nicht, dass das Kind erfährt, wo es herkommt«, sagt Frau Weigand, »das müssen wir akzeptieren.«
    »Wird sie glücklich sein?«, fragt Julka.
    »Das wird sie«, sagt Frau Weigand.

Fünfte Nacht
    Jeden Abend hast du bisher geduldig zugehört und mich gemustert mit deinen schwarzen Augen, meine Kleine.
    Gestern bist du sogar schon vor Mitternacht eingeschlafen, wenn du so weitermachst, verwandelst du dich noch in ein Murmeltier. Pass nur auf.
    Dein Bruder fragt jeden Tag nach seinem Großvater und will bei allem wissen, wie das auf Türkisch heißt. Ich spreche es ihm vor und er lacht, weil die türkischen Wörter sich in seinem Mund noch mehr kringeln, als es die deutschen schon tun. Heute habe ich ihm çocuklar , das türkische Wort für »Kinder« beigebracht, aber er hat immer »Schokolade! Schokolade!« gerufen.
    Cem hat gemailt und mir zum achtundneunzigsten Mal die Flugnummer gegeben, ich glaub, gleich schickt er noch ein Fax hinterher. Habe ich dir schon gesagt, dass er mir vor unserem ersten Treffen eine E-Mail geschickt hat mit einer Anfahrtsskizze von Google-Maps, obwohl man von uns aus rüberspucken kann in seine Stadt?
    Tante Ipek hat ihn auch ausgelacht und gesagt, dass heutzutage jeder anatolische Schafbock ein Navigations­gerät besäße.
    Ich versuche ihm klarzumachen, dass ich ungefähr zehn Jahre in Berlin verbracht habe, aber da sagt er, Berlin sei ja wohl ein Witz gegenüber Istanbul – und gerät schon wieder in Hitze und ich auch, aber aus anderen Gründen. Zehn Jahre Berlin.
    Weißt du, egal wo ich hinging in Berlin – immer gab es einen, der mich musterte. Einen Freund hinzuzog. Heranrückte. Und wenn die Getränke zur Neige gingen, und sogar Joints nur halbgeraucht im Aschenbecher liegen blieben, sprach er mich an. Auf Polnisch oder Bulgarisch, manchmal Kroatisch oder Portugiesisch. Und wenn ich den Kopf schüttelte und bedauernde Gesten des Nichtverstehens machte, dann kam sie unweigerlich, die immergleiche Frage.
    »Deutsch bist du jedenfalls nicht, aber was dann?«
    Damals war ich Mitte zwanzig und schrieb wütend relevante Theaterstücke, während ich mich tagsüber manchmal nicht zu Karstadt wagte, weil ich die Wartezeit in der Kassenschlange nicht überstanden hätte vor lauter Angst, einer käme und fragte mich nach meiner Berechtigung, hier zu sein.
    »Na ja«, sagte ich, wenn ich gesprächig war.
    Dann suchte ich in den Taschen meiner viel zu weiten Jeans nach einem Feuerzeug, um ein vorletztes Bier zu öffnen, strich mit meiner viel zu schmalen Hand durch meine kurzen, blondgefärbten Haare und sagte: »Aufgewachsen bin ich bei ’ ner deutschen Familie, aber

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