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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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in Wahrheit bin ich halb türkisch und halb restjugoslawisch.«
    Lacher.
    Wie jetzt?
    Na, adoptiert. Als ich so anderthalb war.
    »Deine richtigen Eltern kennst du nicht?«, fragte eine, meistens eine mit Tränen in den Augen.
    »Nee«, sagte ich, »und ich frag dich zurück: Wozu? Wäre dadurch irgendwas anders?«
    Und dann genoss ich diese abgeklärte Überlegenheit gegenüber denen, die heulten.
    Karst
    Als ich vier war, wurde Magdalena schwanger.
    Johannes war fassungslos.
    »Ein Wunder«, sagte seine Mutter, und selbst Thea war kurz davor, das zu glauben.
    »Ist es überhaupt von Johannes?«, fragte Onkel Konstantin und lachte dröhnend, und Großmutter Giese sah ihre Tochter ebenfalls fragend an.
    »Ich gratuliere«, sagte sie irritiert. »Aber war der Befund nicht eindeutig?«
    Doch, das war er.
    Aber nicht selten erfüllen sich Wünsche, denen man all sein Sehnen gewidmet hat, all seine Kräfte und all seine Aufmerksamkeit genau dann, wenn man nachlässt. Weil man möchte oder weil man muss.
    Oder weil man ein Kind adoptiert hat, das die Liebe nicht annehmen will, die man so lange aufbewahrt hat (und man selbst nicht erkennt, dass Liebe nicht aufbewahrt werden kann, für eine spätere Anwendung).
    Weil man sein Herz mit einer Burgtür versehen hat, damit nichts heraustropft von der Einsamkeit darin, und vergessen hat, dass auf diese Weise auch keiner hineinkann, auch ein Kind nicht, und schon gar nicht eins, das die feinen Pastellfarben der Traumzimmerchen mit Wachsmalstiften übermalt und zarte Vorhangstoffe zerschneidet mit Scheren und Messern, aus unerklärlichem Zorn.
    Ein Kind, dem ein Schicksal auf den Schultern liegt, das Magdalena nicht wegstreicheln kann, auch, weil das Kind sich nicht anfassen lässt.
    In das man die Liebe nicht einmal hineinprügeln kann.
    Das seinen Namen nicht lernen will und auch sonst nichts annimmt, was man ihm auf Silbertellerchen bereitstellt, man denke nur an das schöne weiche Bettchen und die Puppe aus Stoff.
    So wurde Ruth geboren als ein Wunder, ein Wunsch- und Sehnsuchtskind, und Fotoalben füllten sich mit Bildern eines sorglosen kahlköpfigen Säuglings.
    »Weck Ruth nicht«, »geh raus zum Spielen«, »nicht so grob mit Ruth«, sagte Magdalena im harten Luisa-Ton zu mir und wandte sich gurrend zur Wiege, zum Laufstall, zur Sandkiste und später zum Traumhimmelbett.
    Ich dagegen blieb ein Immerbistdu, ein Niehörstdu, ein Niemachstdumit.
    Darin begann ich, Johannes zu gleichen.
    Der ein Niebistduda wurde.
    Ein Irmasohn.
    Der ans Meer fuhr und zurückkam, um Gegenstände zu überreichen. Blumen, Pralinen oder Wörter. Später auch Ringe, die aber nichts mehr halfen.
    Und als ich sechs Jahre alt war, erfuhr ich einen Teil meines Geheimnisses. Es geschah am Tag der Einschulung. Zwischen Mittagessen und Dessert klingelte das Telefon auf seinem Tischchen. Ich hatte mir am Morgen wünschen dürfen, was es zu essen geben soll, und wie immer, wenn ich mir etwas aussuchen durfte, konnte ich mich nicht entscheiden zwischen dem, was ich wollte, und dem, was der andere zu geben bereit war. So hatte ich mir ein Mittag­essen zurechtgelegt, das ich fortan jedes Mal verlangte. Ich bat Magdalena um Kartoffelbrei aus der Tüte und gebratene Hühnerschlegel. Zum Nachtisch Pfirsichhälften aus der Dose im eigenen Saft, ich wusste, die mag sie gern.
    Als das Telefon klingelte und die Quasten an der Tischdecke zum Beben brachte, hatte ich meine Schulhefte ausgebreitet, die Schultüte ausgepackt, meinen Schulranzen mehrfach stolz durch den Garten getragen und meiner kleinen Schwester gönnerhaft ein Himbeerbonbon abge geben. Die Eltern machten Fotos vor den Petunien, ich blin ­zelte kurzsichtig ins Gegenlicht.
    »Luisa Wackermann«, sagte mein Vater stolz, »so weit hast du es jetzt gebracht.«
    Der Anruf kam von einer Frau, deren Namen ich noch nie gehört hatte. Sie wollte mit mir sprechen, das sah ich an den abwehrenden Bewegungen meiner Mutter, die den Hörer ans Ohr presste und sich schließlich wegdrehte. Sie schüttelte heftig den Kopf und sagte: »Wir haben es ihr noch nicht gesagt, vielleicht später, Frau Weigand, ja, wir richten ihr Ihre Glückwünsche aus.«
    In meinem Glück, endlich in die Schule gehen zu dürfen, vergaß ich meine Enttäuschung über das entgangene Te­lefonat jedoch rasch, viel zu beschäftigt war ich damit, die Unterrichtszeiten einzuhalten und den langen Schulweg zu bewältigen.
    Dann kamen die Bilder vom Fotografen, und Magdalena holte mein Album

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