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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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Jugendbuchpreisetiketten auf dem Umschlag.
    Ungefähr ab da besuchten wir die Gottesdienste nicht mehr abwechselnd gemeinsam, sondern konfessionell sortiert. Vater und Mutter in getrennten Kirchen, die Kinder hatten die Wahl.
    Johannes, der Kartograph, hatte ausgerechnet, dass die Zoohandlung Heinke, »alles außer Fische«, die genaue geographische Mitte zwischen den Gotteshäusern war, so dass wir jeden Sonntag dort standen und auf ihn warteten. Die katholische Messe war trotz Orgelnachspiel wesentlich kür zer. Jeden Sonntag hoffte ich, dies wäre der Tag, an dem ich endlich endlich einen Goldhamster zu sehen bekäme – völlig absurderweise hielt mich die Hoffnung auf Goldhamster die Woche über aufrecht, als könnten diese nacht­ak­tiven lichtscheuen Gesellen irgendetwas ändern daran, dass es mir langsam, aber sicher den Boden unter den Füßen wegzog. Aber immer musste ich mich mit einzelnen, aus dem Heu herausschnuppernden Nasen zufriedengeben.
    »Im Karst«, sagte Johannes bei unseren Spaziergängen, »im Karst spült das Wasser den Untergrund aus, und der Boden senkt sich ab. Man kann es an den Dolinen erkennen, die sich an der Oberfläche bilden. Suppenschüsselartige Vertiefungen, die auf den ersten Blick wunderschön aussehen.«
    Ich ging neben ihm und wartete auf das, was er eigentlich sagen wollte.
    »In einer Ehe«, fuhr er fort, »in einer Ehe gibt es im Laufe der Jahre ebenfalls Veränderungen. Ausschwemmungen. Verstehst du?«
    Ich nickte bedächtig, wie ich es bei ihm schon oft gesehen hatte. Genau wie er hatte ich die Hände hinter dem Rücken verschränkt und ging mit leicht nach vorne gebeugtem Oberkörper neben ihm her.
    Ausschwemmungen konnte ich mir ungefähr vorstellen.
    »Aber Dolinen stürzen ein, wenn der Untergrund zu stark ausgehöhlt ist«, sagte er, und dann gingen wir schweigend weiter.
    Im Monat des Einsturzes wechselte Heinke die Hamstersorte.
    Statt Nasen fanden wir plötzlich wuschelig-puschelige aufmerksame Teddyhamster vor. Ich hätte mich so gern begeistert gezeigt davon, aber da hatte Ruth die kleinen Tierchen entdeckt und verlangte lautstark und schrill nach einem ebensolchen. Magdalena vertröstete sie, vielleicht zu Weihnachten, sagte sie.
    Die Teddyhamster sahen uns nicht nach, ich habe das überprüft. Was hätten sie auch zu sehen bekommen?
    Eine Frau, die mit rechts und links an die Augen gehal­tenen Händen ganz nah an den Schaufenstern stand, um hin­einsehen zu können in Geschäfte, die natürlich am Sonntag nicht geöffnet hatten, und somit ihre Wünsche notwendigerweise im Konjunktiv halten musste?
    Oder eine Familie, lose verteilt über die Breite der Fußgängerzone, das ältere Kind staunend vor einer Gruppe von Punks, wie es Haaren nachsah, die spitz und womöglich gefährlich in die Wolken stachen?
    Auf jeden Fall eine Familie im Kalten Krieg, bei der es am Mittagstisch nur noch für ausgesucht höfliche Floskeln reichte und für kerzengerade absolvierte Tischgebete. Po lierte Holzböden und Wäscheschränke wie im Bekleidungs ­geschäft, immer alles am rechten Platz, nur keine Angriffsflächen: gesellschaftlicher Status und häusliche Ordnung, das waren die Wackermann’schen Mittelstreckenraketen, ohne jede Aussicht auf Abrüstungsverhandlungen.
    Beim Abendessen war das Pulver verschossen und jedes Wort schon einmal aufgewärmt von gestern. Zum Abendessen gab es dickwandiges Schweigen.
    Ich habe Jahre gebraucht, um zu begreifen, wie gewöhnlich wir damit waren. Als Kind aber hielt ich uns für die einzige Familie, in der das Wort »Scheidung« ausgesprochen wurde. Weil ich außerdem zugleich in die Pubertät kam, musste ich sehr häufig Meyers Großes Taschenlexikon konsultieren, unter anderem auch, um sicherzugehen, dass Scheidung etwas war, das man durchaus mit einer Freundin besprechen könnte. Wenn da eine gewesen wäre.
    An unserem letzten gemeinsamen Heiligen Abend war Großmutter Giese bei uns und Irma ebenfalls. Thea war krank und konnte nicht kommen. Wir besuchten zuerst die katholische Kirche, dann die evangelische. Es folgten Nachmittagsspaziergang und Krippenspiel. Anschließend teilten sich Großmutter Giese und Irma die Küche, um ihre traditionellen Kartoffelsalate zuzubereiten. Giese kochte 10-Minuten-Eier, von denen wir die Anschnitte essen durften. Wenn wir Glück hatten, war noch ein kleines bisschen vom Gelben dran.
    Irma umkreiste ihre Schüsseln und wachte mit Argusaugen darüber, dass ihre Anordnung nur ja nicht

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