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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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überging.
    »Was ist da?«, fragte ich.
    »Ein Karstgebirge«, sagte Johannes. Wenn es irgendwo Karst gab, war er glücklich.
    »Jugoslawien«, sagte Magdalena, »da ist deine Heimat.«
    »Gewissermaßen«, sagte mein Vater.
    »Deine Mutter«, sagte Magdalena da, »die ist aus Jugo­slawien.«
    Dann schlug Johannes geschäftig den Atlas auf. Er merkte, dass er ihn nicht gleichzeitig halten und darin blättern konnte, und legte ihn, ohne nachzudenken, in den Sand: »Hier ist Serbien und hier Slowenien, hier Kroatien, Mazedonien und Bosnien.«
    Dabei wedelte er mit der Hand zwischen den Farbflächen hier und dem Blaugrau dort hin und her.
    »Und wo ist Jugoslawien?«, fragte ich.
    »Das Ganze ist Jugoslawien«, sagte mein Vater, und ließ seine Pfeife über Sarajevo kreisen, als läge dort irgendwo die Antwort auf meine Frage.
    Große Rauchkringel.
    Ich tunkte meine Zehe ins Wasser, aber das Meer fühlte sich noch ganz genauso an wie vorhin, obwohl ich in Johannes’ Atlas gesehen hatte, dass mein sogenanntes Heimatland vom selben Wasser berührt wurde.
    Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.
    Bin ich also aus Jugoslawien, dachte ich. Es ist ein kuscheliges Wort, dachte ich, man kann sich drin einwickeln, es klingt und schwingt. Luisa Wackermann, aus Jugoslawien herausadoptiert (»Wir wissen nichts über die Umstände«).
    »Und mein Vater?«, fragte ich.
    »Türke«, sagte Magdalena, »er ist Türke.«
    »Eigentlich bemerkenswert, historisch betrachtet«, sagte Johannes.
    Wir kehrten zurück nach Deutschland, in unser Haus, aber mein Kinderzimmer war nicht mehr dasselbe. Vor wenigen Wochen war dies das Zimmer von Luisa Wackermann – war ich einfach nur Luisa gewesen, die zwar nur irgendwie dazugehörte, aber doch wenigstens gleich war.
    Jetzt aber kam ich zurück als ein noch andersartigerer Fremdkörper. Meine Heimat war nicht länger Deutschland, nicht einmal nur ein einziges Land, sondern gleich zwei und der Vater ein Türke! Ein knorriger Laut, trocken und derb.
    Alles in allem also türkisch-jugoslawisch, es fühlte sich an wie ein geplatztes Ei auf Fliesenboden.
    Ich ging zu meinem Bücherkoffer, um meine Winnetou-Bände hineinzulegen, und das erste Buch, das mir entgegensah, war »Durchs wilde Kurdistan«.
    Ich nahm es heraus und warf es weg. Luisa hätte dieses Buch lesen können, weil sie nichts damit verbunden hätte und nicht angefangen hätte, zwischen den Zeilen ihren türkischen Vater darin zu suchen.
    Jedes der eigentlich vertrauten Geräusche im Haus klang neu und fremd. Das Klappern der Waschmaschine, das Brummen der Spülmaschine, die Magdalena sonst nie benutzte und Johannes aus Gründen des Umweltschutzes auch nicht. Ruth in ihrem Zimmer, wie sie ihre Barbiepuppen die Pferdchen begrüßen ließ. Das Mobile vor meinem Fenster bestand aus leise klappernden Muschelplättchen.
    Ich sah meinen grünen Teppichboden und das Bett meiner Urgroßmutter mit den dreiteiligen Matratzen, die scheußlich gestreifte Tapete an der Wand zum Elternschlaf­zimmer. Die ordentlich drapierten Gardinen und den Trockenblumenstrauß auf dem Bücherregal in einer Vase aus selbstgeflochtenem Peddigrohr. Die geknüpften Wandbehänge in den Farben der siebziger Jahre, den Papierkorb mit dem eben weggeworfenen Buch darin.
    Ich nahm es heraus und packte es ein. Dazu eine Hose und einen Pullover und meine Sportschuhe. Das musste reichen, mehr passte nicht in den kleinen Strandrucksack aus dem Urlaub. Ich ging die Treppe hinunter, unbemerkt, ließ die Haustür vorsichtig ins Schloss fallen, lehnte mich für einen kurzen Moment dagegen. Auf dem Klingelschild stand »Familie Dr. Wackermann«. Für die auf der anderen Seite der Haustür mochte das gelten – für mich nicht mehr.
    Ich kam nicht weit. Nicht nur, weil ich kein Geld hatte und nichts zu essen. Sondern auch, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass man zu Fuß so lange brauchen würde, um die Stadt zu durchqueren, sie hinter sich zu lassen und vielleicht bis nach Amerika zu kommen. Natürlich wusste ich, dass ich nicht in den Wilden Westen laufen konnte, ich wusste, da wäre ein Ozean und auch sonst allerlei Hinder­liches dazwischen – aber es war das Einzige, das ich mir vorstellen konnte, das Einzige, womit ich mich verbunden fühlte, dort war ich abends und nachts und oft genug auch schon am frühen Morgen unter der Bettdecke mit der Taschenlampe unter dem Kinn und dem Buch auf dem halb unter die Decke gezogenen Kopfkissen, wie so viele Kinder, aber ich

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