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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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durcheinandergebracht wurde.
    »Die Reihenfolge«, sagte sie immer, »die Reihenfolge ist entscheidender als die Kartoffelsorte. Und die Temperatur.«
    Giese rührte großzügig Mayonnaise in ihre Tunke.
    »Ich hab lang genug auf alles verzichtet«, sagte sie augenzwinkernd zu uns.
    Später saßen Ruth und ich zwischen den beiden, in angespannter Erwartung des Weihnachtsessens. Wir hatten am Nachmittag schon ausgiebig gestritten, sie hatte mich ein däm­liches Adoptivkind geschimpft und ich sie eine eingebildete Ziege. Jetzt trugen wir Hüttenschuhe zur festlichen Kleidung, die Haare frisch geschnitten. Das Flötenspiel lag bereits hinter uns.
    Johannes starrte, mit Weste und Taschenuhr an der Kette überaus sorgsam gekleidet, auf die Silberzwiebelchen in ihren Schälchen und schenkte sich, noch bevor wir gemeinsam begonnen hatten, ein ganzes Glas Bier ein. Er leerte es auf einen Zug. Meine Mutter warf ihm einen missbilligenden Blick zu und faltete die Hände. Wir taten es ihr gleich.
    »Aller Augen warten auf dich, oh Herr, du gibst uns unsere Speise zur rechten Zeit, du tust deine Hand auf und erfüllest alles, was lebt, mit Segen«, betete sie.
    Aber noch bevor sie Amen sagen konnte, war Johannes aufgesprungen, zornesrot im Gesicht, und schrie: »Es heißt milde Hand, milde!«
    »Johannes!«, sagte Irma.
    Milde Hand, was es denn für eine Art sei, das wegzulassen, ob man nicht wenigstens an Weihnachten erwarten könnte, dass ordentlich gebetet wird, wo man doch sonst immer so viel Wert legen würde auf Korrektheit!
    »Bitte, ich hole das Gebetbuch«, sagte meine Mutter kühl.
    »Das ist wieder typisch«, brüllte er. »Diese verdammte Kor­ rektheit, diese verdammte katholische Scheißkorrektheit.«
    »Das macht ihr unter euch aus«, sagte Großmutter Giese. »Ich esse jetzt.«
    Sie griff zum Brotkorb. Niemand hinderte sie daran. Gebetet war gebetet.
    »Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird«, sagte Irma sanft und nahm sich ein sicher sehr kühles Gewürzgürkchen.
    »Ich hole jetzt das Gebetbuch«, sagte meine Mutter und stand auf. Nicht nur ich sah, dass sie Tränen in den Augen hatte.
    Johannes erhob sich ebenfalls. Vor dem Bücherregal trafen sie aufeinander.
    Dort standen sie schließlich, jeder mit einem aufgeschlagenen Katechismus in der Linken und einem Finger, der stumm auf eine quadratzentimetergroße Stelle zeigte. Die neu angeschaffte Halogenlampe neben den beiden schickte ihren Lichtstrahl an die Decke und sorgte für moderne indirekte Beleuchtung.
    »Hand«, sagte Magdalena, »nur Hand. Nicht milde.«
    Ein winziges Wörtchen in einem Gebet hat dazu geführt, dass Johannes seine Frau angebrüllt hat mit Worten, die ich nicht verstand und Ruth noch weniger. Die sogar Irma und Giese sprachlos machten und dafür sorgten, dass der Wein zu warm und das Bier ohne Schaum auf dem Tisch stand (das gute Bier, das es nur Weihnachten gab, und nur dann durfte ich davon versuchen).
    Mit Worten, die den Krabbencocktail in den Rauchglasschälchen an diesem Abend unberührt bleiben ließen, die schäumten aus einem Mund, der so oft und eigentlich immer gelächelt hat, aus einem Mund, der Märchen vorlesen konnte mit verschiedenen Stimmen. Aus diesem Mund kamen Worte, die sich einnisteten in feine Haarrisse einer Ehe, darin wuchsen und sie in wenigen Monaten vollends bersten ließen.
    Ein irreparables Zerwürfnis angesichts einer evangelischen und einer ­katholischen Andacht, eines Korbes mit Weißbrot- und Vollkornbrotscheiben und, nicht zu vergessen, zweierlei Kartoffel­sa­la­ten.
    Ein netter Richter mit Bart sprach anderthalb Jahre später die Scheidung aus. Nette Damen vom Jugendamt befragten mich wegen der Sorgerechtsentscheidung. Sie waren jung und trugen Jeans, ich fühlte mich ernst genommen und sagte, ich würde gerne für immer in einer Bibliothek ohne Menschen wohnen. Daraufhin musste ich für ein paar Stunden zu einer Kinderpsychologin mit Doppelnamen gehen.
    Bei Jorgensen (genaugenommen bei Jorgensen & Söhne) gebe es eine Stelle im Verkauf, sagte Giese am Telefon.
    »Ich bin doch nicht verrückt, nach so vielen Jahren wieder von vorn zu beginnen«, sagte Magdalena.
    Aber dann nahm sie doch an und verkaufte wieder Herrenoberbekleidung. Nur kam die jetzt aus Fernost.
    Onkel Konstantin schickte Blumengrüße.
    »Ich habe es dir gleich gesagt« stand auf der Karte.
    Ich sollte die Schule wechseln, weil Thea der Meinung war, man könnte nicht ernsthaft mit vierzehn seine Sachen in einen

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