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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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darin, ich konnte sie glitzern sehen. Seine schwarze Jeans hatte Löcher am Knie. Ganz kurz trafen sich unsere Blicke.
    Ich setzte mich neben die Tür auf den Boden.
    Er spielt seine eigene Musik, dachte ich. Seine eigene.
    Ich sah ihm zu, wie er spielte, wie er den Klavierdeckel schloss, nachdem er das letzte Stück beendet hatte. Ich wandte meinen Blick erst von ihm ab, als er aufstand und zur Tür ging, drehte mich ein wenig zur Seite und wollte mir keinesfalls anmerken lassen, wie sehr er mich beeindruckt hatte.
    Füße kamen in mein Blickfeld. Wollsocken in Gesundheitsschuhen.
    »Ich bin Tom«, sagte eine Stimme.
    »Luisa«, sagte ich zu den Schuhen.
    Er setzte sich zu mir. Schob Locken hinters Ohr, die blond aussahen, aber auch dunkel.
    So selbstverständlich, wie er sich neben mich setzte, als hätte er das bisher jeden Tag so gemacht, als hätte es nie ­einen Tag gegeben, an dem wir nicht miteinander ge­sprochen hätten, nie einen, an dem wir nicht miteinander spazieren gegangen wären oben am See oder auf dem Philosophenweg, so selbstverständlich waren wir von dieser Minute an ein Paar.
    Ein Paar, das nach Tagen zum ersten Mal die Hand des anderen nahm, nach Wochen den ersten Kuss wagte und für alles andere nicht einmal die Wörter kannte.
    Es war nicht mehr vorstellbar, dass wir je ohne einander ausgekommen waren. In den Ferien schrieben wir uns Briefe, wenn wir uns sahen, diskutierten wir.
    Über das Universum und ob wir uns das Leben, das wir gerade im Moment führten, ausgesucht hatten, bevor wir geboren wurden, wovon er im Übrigen ausging.
    Nein, sagte ich, das wohl kaum, wozu sollte ein Leben wie meines denn nütze sein, nur Leid und Verlust sagte ich, wer könnte denn etwas haben davon?
    Du selbst, sagte Tom, du kannst lernen und daran wachsen.
    Da scheiß ich doch drauf, wenn es so vor sich gehen muss, sagte ich und wollte für eine Weile nichts mehr wissen davon.
    Selbst das, rief Tom mir nach, sei gut für uns, denn nur in der Auseinandersetzung könne man reifen, ich sah ihn wutschnaubend an und warf die Tür zu.
    Tom versuchte es als Erster noch einmal neu, diesmal ging er die Sache ein wenig weltlicher an. Er schrieb mir ­einen Zettel, den er auf meinen Schreibtisch legte: »Wir könnten mal Pommes essen gehen. Bist du am Samstag da?«
    Ich schrieb zurück: »Pommes geht nicht. Zu fettig. Aber: Wo könnte ich sein, wenn nicht hier?«
    Tom schrieb: »Keine Pommes ist übel. Machen wir halt was anderes.«
    Tom und ich verabredeten uns fast immer am See. Wir nahmen das Boot und ruderten in die Mitte, dorthin, wo der Schattenwurf der Bäume aufhörte, und holten die Ruder ein. Dann legten wir uns nebeneinander auf den Boden. Ich legte meine Hände auf meinen Bauch und er seine auf seinen. Wir schlossen die Augen und stellten uns vor, wie es gewesen sein musste, als der See noch ein Steinbruch für das Kloster gewesen war und die Mönche sich entschlossen hatten, ihn zu fluten. Wie schnell er sich gefüllt hätte und wo die Biber hergekommen waren, die sich freitags auch auf dem klösterlichen Speisezettel befunden hatten, weil sie im Wasser lebten und Fisch am Freitag schließlich erlaubt war. »Mönche eben«, sagte Tom.
    »Muss man nicht verstehen« – und wir lachten.
    Dort auf dem See erzählte ich ihm von meiner Familie. Von allem, das ich wusste, und den Wackermann’schen Karst­spalten, von denen man verschlungen werden konnte, wenn man nicht aufpasste.
    Er sagte, du musst eine Karte zeichnen, wo sie liegen, die Spalten, und ich lachte und sagte, dass nicht ich die Kartographin der Familie sei, und er lachte und fragte, bist du sicher?
    »Du kannst sie nicht retten«, sagte er dann noch und schaute über das Wasser.
    Ich doch nicht, sagte ich, ich will doch keinen retten, von denen doch nicht, wen denn?
    Du bist verstrickt, sagte Tom, du nimmst deine Familie wichtiger als dich, und ich sagte, wohl kaum, woher nimmst du das jetzt?
    Weil du nicht sehen willst, wer du wirklich bist, sagte er, du willst ja nicht einmal wissen, wo du herkommst.
    Nein, das wollte ich nicht. Ich wollte nicht nach meiner Herkunft suchen, nicht finden, nicht sehen, weil ich nicht wusste, wie es hätte weitergehen sollen danach, und weil ich nicht mehr hätte träumen können davon.
    In meinem kaukasischen Kreidekreis hat die wahre Mutter um ihr Baby gekämpft, auch auf die Gefahr hin, es zu zerreißen. Es loszulassen bedeutete doch nur, es auf eine andere Art zu töten, sagte ich. Noch später dachte ich,

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