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der ganz eigenen thel-ryonischen Baukunst entworfen, schlug die Halle leicht in ihren Bann: Glas, Eisen und Quarzgestein. Ein hoher Raum mit gläserner Kuppel, die sich von zahlreichen Eisenrippen getragen auf eiserne Säulen stützte. Wie ein Wasserfall ergoss sich das Licht durch die Kuppel in den Saal und bildete einen leuchtenden See, der von den Säulen gesäumt wurde. Die Quarzsteinmosaiken auf dem Boden fingen das Dreisonnenlicht auf und spannen es in ein flüchtiges Gewebe von Halbschatten, das den ganzen Saal ausschlug.
Ein geheimnisvolles,
altes
, ein Märchenlicht, fand Seiya, das es wohl nur hier gab. Wenn auch jedes Wort, das sie sprechen würde, ihr schon jetzt schwer auf der Zunge lag – hier fühlte sie sich besser. Orte wie dieser waren ihr vertraut. Sie war an einem ähnlichen aufgewachsen. Für alle galt dasselbe Gebot:
Sprich besonnen und mit Macht
.
Sie stieg die Treppe hinunter. Das Geländer, ein fein geschmiedetes Gitterwerk, gab den Blick auf das Halbrund frei, zu dem der Boden unter der Kuppel in Rängen abstieg. Auf den geschnitzten Sitzen mit Pulten aus rotem Holz in den Rängen saßen bereits mehrere Personen. Mit einigen war Seiya bekannt gemacht worden, sie erkannte die Gildenrichterin, die Sprecherin der Gilde der Juwelengärtner und den Abgesandten der Silberschmiedezunft. Andere standen zu zweit und in kleinen Gruppen zusammen und sprachen leise miteinander. Seiya konnte sich denken, worüber. Sie straffte die Schultern. Zeit, über das zu reden, was wirklich wichtig war.
Der Stadtherold kündigte sie an, und die leisen Gespräche versiegten. Zwei Dutzend Gesichter wandten sich Seiya zu, und ihre Mienen drückten ihre Haltung aus: freundliche und feindliche, offene und verschlossene, manche neugierig, andere gleichgültig. Nur zwei waren darunter, die vollkommen blank waren und leer wie ein blindes Fenster.
Eines gehörte dem Hüter des
Gedächtnisses
, dem Stadtarchivar, der kein Mensch war. Seiya konnte eigenartige, dunkelviolette Schlieren tief unter seiner Elfenbeinhaut ausmachen, wie Wolkenschleier. Sein Gesicht war
glatt
. Seiyas Blick perlte daran ab, ohne die Kontur eines Ausdrucks zu berühren. Dabei war sie gut darin, Gesichter zu deuten. Die Augen des Stadtarchivars hatten den eigenartig fahlen Glanz von Muschelsilber. Sein Blick berührte nur einen Lidschlag lang den ihren, dann schlugen sich lange weiße Wimpern darüber. Die Exilkönigin gab vor, es nicht zu merken. Sie hatte selten in Augen gesehen, deren Blick sich derart kalt anfühlte auf der Haut.
Sie stieg die letzten Stufen hinab und begab sich unter schweigender Beobachtung zu jenem Sitz, den Earl Hag ihr als Bevollmächtigte überlassen hatte – eine höhere Lehne, eine reichere Verzierung kennzeichnete ihn als den Wichtigsten im Rund.
Für einen Moment bereute sie, sich darauf eingelassen zu haben. Doch nun musste sie dazu stehen. Sie setzte sich. Und gleich stellte sich das so vertraut fremde Gefühl ein – jetzt saß sie nicht als Seiya, sondern als Entscheidungsträgerin an diesem Platz. Dazu gehörten als Ausstattung der hohe Sitz und das schwere, perlenbestickte Kleid mit den überlappenden Ärmeln wie Seerosenblüten und dem tief ausgeschnittenen Rücken. Fast fühlte sie sich schon gar nicht mehr als Seiya. Der Thron der Mandiranei hatte ihr zugestanden, doch sie hatte ihn nie eingenommen. Nun war die Heimat an den Feind gefallen, und sie präsentierte sich auf einem fremden Thron, der ihr nur vorübergehend gehörte.
Auf ihren Wink hin eröffnete der Herold die Zusammenkunft und rief nacheinander die Teilnehmenden beim Namen auf. Sie sollten ihren guten Willen und ihre Bereitschaft erklären, Seiya zu unterstützen.
Die Schreiber machten sich bereit, alles aufzuzeichnen, was gesprochen wurde. Wenn die Zusammenkunft zu einer Einigung gelangte, würde jeder der Anwesenden sein Namenszeichen und, wenn er eines besaß, Siegel unter die Mitschrift setzen. Seiya hoffte, dass sie bald zustimmen würden, denn viel Zeit blieb ihnen nicht.
Aufmerksam betrachtete die junge Frau die Gesichter, die zu den Namen gehörten, und prägte sich die Züge ein.
Pong, dem einige der Blicke galten, die sie streiften, hatte sich auf ihrer Schulter aufgerichtet und verfolgte das Geschehen gleichermaßen.
Zunächst folgte jedem Namensruf die Willensbekundung – wie Seiya erwartet hatte, nahmen die Zunftmeister und Gildesprecherinnen die Entscheidung Hags gelassen hin.
Das erste »Nein!« fiel aus dem Mund der
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