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Gildenrichterin. Der Herold schaute auf, rückte das Monokel zurecht. Seiya lehnte sich ein wenig vor – die Gildenrichterin, eine große Frau mit eigenwilligen Augen und harten Lippen, hatte sich erhoben und blickte ihr offen ins Gesicht.
»Viele wissen, wer Ihr seid, so auch ich«, fuhr sie mit leicht rauer Stimme fort, die Seiya an As’mala denken ließ, »und dass Ihr der Passage näher wart als die meisten anderen auf Less. Euer Name wird stets mit allen anderen Helden der Passage genannt.«
Sie ging die Stufen hinab, an den Rängen vorbei, in die runde, freie Mitte hinunter, wo sich alle Treppen trafen. Dort blieb sie stehen, sah sich um. Sie war eine erfahrene Rednerin, sprach laut und deutlich, ihre Gesten folgten ihren Worten, dass man fast meinte, sehen zu können, was sie sagte. »Doch Ihr seid fremd in dieser Stadt, fremd sind Euch unsere Gebräuche, unser Recht und die Ordnung, und auch unser Volk, das Euren Namen auf den Straßen nicht nur begeistert ausspricht. Earl Hags Entscheidung hat uns alle, nun: überrascht. Und wir werden sie nicht so ohne weiteres hinnehmen, ohne zu wissen, ob sie gut getroffen ist.«
»Ich verstehe Eure Zweifel, Gildenrichterin.« Eine weitere Frau erhob sich; langes Haar, herbsteisfarben, umrahmte ihre Züge, weich und lieblich: Don’na Elphira, eine Leibberaterin Earl Hags. »Aber Lord Hag hat mich ins Vertrauen gezogen, ehe er nach ELIUM aufbrach, und mir erklärt, warum er die Verantwortung einer von vielen verehrten Heldin, gleichwohl Fremden, übertragen will, in seinem Namen zu sprechen.«
Sie machte eine kurze Pause, um die Spannung in die Höhe zu treiben. »Königin Seiya hat den Krieg bereits gesehen. Wir alle«, sie vollzog eine weit gefasste Geste, »wissen um die Ereignisse der Passage, ja, und auch von der Gefahr ELIUM. Aber wir waren nicht dabei, niemand von uns. Lord Hag hat Königin Seiya von der Mandiranei ausgewählt, und ich bin sicher, wie er selbst es sein muss, dass sie weitaus besser wissen wird als wir, was uns bevorsteht. Denn sie hat um die Freiheit ihres Reiches gekämpft, und sie hat Gefangenschaft und Folter durchgestanden, ehe sie hierher kam. Wir haben von alldem nur gehört. Deshalb«, jetzt ließ sie ihren Blick im Versammlungsrund umhergehen, zu jedem einzelnen, »trage ich die Entscheidung Earl Hags mit. Ich versichere Euch meines guten Willens und voller Unterstützung, Königin Seiya, so wie ich loyal zu Earl Hag stehe.«
Von einigen Rängen kam Beifall. Das Gesicht der Gildenrichterin blieb unbewegt wie eine Marmormaske. »Ich bin entzückt zu hören«, sagte sie mit einer Stimme, die keineswegs so klang, »dass die verehrte Gründerfamilie Hag sich so ergebener Gefolgschaft erfreut. Vergebt mir dennoch, Don’na, dass ich Euer Vertrauen in diese Entscheidung nicht teile. Mag die Exilkönigin den Krieg kennen und Zeugin der Passage gewesen sein: Ich bezweifle, dass Seiya von Mandiranei zur Kriegsmeisterin so taugt, wie Ihr und Lord Hag wohl meinen.« Sie richtete sich auf. »Ich habe mich kundig gemacht, Dame Seiya, sobald Euer Name als Bevollmächtigte und Stellvertreterin fiel. Ich wollte wissen, welche Person hinter der erkorenen Heldin steht. Und mir ist bekannt geworden, dass Ihr die Ereignisse der Vergangenheit bei weitem nicht so gut bewältigen konntet, als dass man Lord Hags Wahl leicht verstehen könnte.«
Pongs Schuppen erglühten in rotem Zorn. »Was soll das heißen?«, fauchte er mit hervorschnellenden, zitternden Stacheln. »Niemand hat Grund, an Seiya zu zweifeln! Sie hat jetzt bedeutend mehr durchgemacht als zur Zeit der Passage, und seht sie Euch an!«
Die Gildenrichterin streifte Pongs Ausbruch mit einem Seitenblick, mehr nicht. Sie richtete nicht einmal das Wort an ihn. Ihre Augen fanden gleich zu Seiya zurück, ein wenig schmal jetzt, wie Halbmond-Klingen.
»Ich sehe Wundmale, Blässe und Unterernährung«, sagte sie kühl. »Und was mag erst unter dem äußeren Augenschein liegen.«
Seiyas Rechte wurde zur Faust. Wenn sie anfing, sich mit dieser Frau auseinanderzusetzen, würde ein Ende wahrscheinlich erst gefunden, wenn Aliandur vor den Toren stand, und dann wäre es zu spät. »Ich denke nicht, dass ich verstehe, was Ihr meint«, entgegnete sie frostig.
Die Gildenrichterin lachte nur, kurz und hart, wie Marmor über den Anblick eines Holzmessers lacht: »Das glaube ich Euch nicht. Ihr habt es damals nicht überwunden: das Töten. Meint Ihr, diesmal ginge es Euch leichter von der Hand? Womöglich,
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