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weil Ihr nur befehlen müsst, nicht selber handeln? Glaubt mir, das macht keinen Unterschied, nicht für jemand Euresgleichen, mit einer Blütenblätter-Seele. Blut schmeckt immer gleich, ob man es durch eigene oder fremde Hand vergießt.«
»Das ist wahr.« Ein Mann ergriff nun das Wort, untersetzt und sehnig, mit einem Gesicht wie Wüstenwind, so rau und spröde. Er stand gleichfalls auf, stieg einige Stufen herab. »Erlaubt mir, Euch zur Seite zu treten, Richterin«, meinte er und fuhr dann, an Seiya gewandt, fort: »Ich bin als Hauptmann der Stadtwehr hier, und ich weiß, was es bedeutet, Krieg zu führen, nicht nur, ihn zu befehlen. Wenn Ihr meint, das Töten …«
»Vielen Dank, Hauptmann«, unterbrach ihn Seiya gefährlich sanft. »Vom Töten müsst Ihr mir nichts erzählen. Ich kenne mich nur zu genau aus damit.« Sie erhob sich von ihrem Thronstuhl, trat offen vor die Zusammenkunft, aber nicht auf die Treppen hinaus. Sie breitete die Hände aus. »Es ist wahr, was die Gildenrichterin sagt: Die Ereignisse der Passage haben mich an meine Grenzen geführt – und ich bin darüber hinaus gegangen. Ich habe mehr Leben ausgelöscht, als ich mir je verzeihen kann, aber ich habe gelernt, in diesem Schatten zu leben. Werft mir vor, was Ihr wollt, nur nicht, dass ich zu wenig getötet hätte. Und darüber hinaus«, sie kreuzte den Blick mit der Gildenrichterin wie einen Degen, »möchte ich Euch alle bitten, Eure Entscheidung rasch zu treffen: Wir haben nicht mehr viel Zeit. Eines kann ich Euch versichern – wenn wir den Krieg nun unter uns entfachen, brauchen wir nicht erst auf Aliandur zu warten. Dann fällt diese Stadt, und wir alle, ich und Ihr, mit ihr.«
Pongs Schuppen sprühten erregte bunte Funken auf Seiyas Schulter. Er wollte etwas sagen, aber eine kaum merkliche Geste Seiyas ließ ihn verstummen. Sie setzte sich wieder, hatte gesagt, was es zu sagen gab.
Und wirklich: Darauf folgte Schweigen. Nur die Silberstifte zerkratzten die Stille, während sie übers Pergament eilten, um mit den Ereignissen Schritt zu halten.
Die Gildenrichterin stand nach wie vor inmitten der Runde, ihre Gestalt schmal und scharf wie die eines Falken. Sie blickte zu der Königin im Exil auf. Etwas hatte sich verändert – Seiya erkannte, dass sie nicht mehr am Blick der Thel-Ryonerin zerschellen sollte.
»Wird er denn wirklich kommen?«
»Aliandur? Ohne jeden Zweifel. Ich erfuhr es von ihm selbst. Ob er eine Bastion für sich oder ELIUM schaffen will, weiß ich nicht – doch er will diese Stadt in Besitz nehmen, wenn nicht vollständig schleifen. Und er hat viele, sehr viele Anhänger, die kampferprobt und zu allem entschlossen sind. Ich habe sie während meiner Gefangenschaft erlebt – und beobachtet.«
Ein Zwischenrufer stellte eine wichtige Frage: »Und weshalb verteidigt Earl Hag seine Stadt dann nicht selbst? Er stammt in direkter Linie von den Gründern ab!«
Seiya war darauf vorbereitet. »Earl Hag wird bei ELIUM gebraucht, denn von dort geht die unmittelbare Gefahr und Bedrohung aus. Die Stummen sind weitaus gefährlicher als Aliandur, und zahlreicher, und sie beherrschen eine Technik, mit der nur wenige von Less etwas anfangen können. Earl Hag gehört dazu. Der Lord musste eine Entscheidung fällen. Wir haben lange darüber diskutiert und erkannten meine Ernennung zur Stellvertreterin als die beste Lösung, denn ich kenne Aliandur besser als jeder andere und habe Kenntnis über den Aufbau seines Heeres.«
Ihre Worte standen, wie sie sie gesprochen hatte, noch ein halbes Dutzend Atemzüge lang.
Dann sprach die Gildenrichterin. »Nun gut, Königin der Mandiranei«, sagte sie laut. »Ich denke, ich begreife jetzt, warum Earl Hag so handelte: Ihr seid nicht als neue Herrscherin gekommen, sondern um Thel-Ryon durch einen Krieg zu führen, der Euch vertraut ist.«
»Nichts liegt mir ferner als eine Herrschaft über Eure Stadt, oder einem von Euch den Rang streitig zu machen«, versicherte Seiya. »Mein Leben ist öffentlich genug, dass Ihr wisst, wovon ich spreche. Meine wahre Heimat wird immer die Mandiranei sein, wohingegen mein Zuhause in Burundun liegt, wo mein Ehemann Mun, der Vorsteher des Zentralarchivs, und meine drei kleinen Kinder sehnsüchtig meine Rückkehr erwarten. Es fiel mir nicht leicht, sie vertrösten zu müssen. Doch die Sicherung dieser Stadt ist wichtiger als meine persönlichen Gefühle, und ich werde die Verantwortung mit allen Konsequenzen tragen.«
Die Worte hatten eine knisternde
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