Sunrise: Das Buch Joseph (German Edition)
nicht mit Argwohn, Scham oder Eifersucht.
Da sprach sie: ›Ich lag am Rand der Zisterne, als ich erwachte. Regen fiel noch, von dem ich geweckt war. Und mich aufrichtend sah ich mein Tuch, das blaue, das ich mir vor dem Regen als Umhang umgelegt hatte. Ausgebreitet lag’s neben mir. Ausgebreitet wie damals, als du mich gefunden und wecktest. Und als ich mich bückte, das Tuch zu mir zu ziehen, war der Boden, wo ich stand, regennaß, das Tuch aber, das ich in seinen Falten vom Boden hob, war trocken. Aber auch da – vom Moment, als ich hob das trockene Tuch, es um mich zu legen – bin ich ungewiß, wie ich zurückkehrte ins Dorf. Ob sogleich oder ob Stunden später und ob mich jemand gesehen. Niemand aber fragte mich danach, weder im Haus noch am Brunnen. Als sei dies alles mir heimlich geschehen. Und ich glaubte mich verrückt. Denn mit meinem Verstand war nichts mehr zu fassen davon. Und das Leben war traumgleich mir, und alles, vom Wort jenes Namens an, gleich einem Traum: Du, Joseph, der Sklave, den du gerettet und den ich doch zweimal besucht, an zwei Tagen, die Flucht, die du antratst, mein Schmerz, dich vermissend, mein Warten, mein Irrewerden selbst am Geschehnis, am Namen, der anfachend alles auslöschte und der dringt bis hierher, bis in die Stunde noch. Es ist der Name, den ich dir nicht nennen kann. Denn ich glaube, du, Joseph, trugst keinen Menschen. Und nicht Menschennamen gab er sprechend zu mir. Aber bis heute, bis ich dich sah, behielt ich’s in mir und sprach davon niemand.‹
Da sie schwiegen, nahm sie Josephs Hand und legte sie auf ihren Bauch.
Und Joseph fühlte, wie seine Hand – aufsetzend – sich wölbte darüber. Da wich er aus und zog ihr ab seine Hand.
Und Joseph führte Maria zurück an das Dorf, ging aber nicht hinein.
Da sprach sie: ›Joseph, ich habe Angst.‹
Und er, obschon er ihr alles glauben wollte, konnte’s doch nicht und sagte ihr nichts. Nur, daß er draußen nächtige, noch nicht zurückkehre ins eigene Haus.
So ließ Joseph sie gehen.
Kapitel 25. Die Gleichzeitigen
Und ihr nachblickend dachte er:
Klag ich sie öffentlich an, nehme ich ihr das Leben. Wie ich meiner ersten das Leben nahm, als ich den ersten zu retten nicht wußte. Denn ich weiß doch, woran sie starb.
Und dringe ich darauf, heimlich, im Einvernehmen, zu lösen den Ehevertrag, so nehme ich ihr das Leben nicht weniger. Denn wie lange noch, und wem wäre nicht offenbar, was sie im Bauch hat?
Wo ich aber nicht anklage, wird’s ohne Gnade der Haufe tun.
Und weiter dachte er bei sich:
Wie, wenn ich mich davonmachte, nicht mehr zurückkehrte ins Dorf, aufgäbe hier, wegzöge hinauf nach Judäa, wer kennte mich dort?
Neu würd ich beginnen, aufbauen neu, noch bin ich kräftig genug. Dann würde man mich verdammen in Nazaret. Denn jetzt könnte Maria sagen – und hätte ihre Mutter zur Zeugin – : ›Es ist Josephs, das Kind, der mich grundlos verließ und den im Unglück, wer weiß, Gottes Strafe ereilte. Denn er bleibt aus.‹ Ja, sie könnte zu ihnen sagen: ›Ich aber will warten, vielleicht ist Gott gnädig, und es reut meinen Mann, und er kehrt zu mir zurück.‹ So stünde sie gut noch im Unglück.
So rechnend berechnete’s Joseph. Und als es aufging, ward ihm übel davon. Denn die Rechnung war eines Gerechten, der sich nicht schert um Gott.
Da kam ihm ein, was er bemerkt hatte, als sie bei ihm stand, ihm berichtete, wie ihr geschehen.
Denn war’s nicht … –, dachte Joseph und hielt inne. Und von neuem begann er: War’s nicht, daß sie mir sagte … Und sagte sie nicht: ›Es geschah so am zweiten Tage nach deiner Flucht‹? Sagte sie nicht zu mir: ›Und es regnete, als ich hinabstieg in die Zisterne‹? ›Regnete, schon in der Nacht‹, sagte sie’s nicht?
Und regnete es nicht, schon in der Nacht, als ich erwachte morgens am fremden Ort? Und war’s nicht am zweiten Tag meiner Flucht, ja, am zweiten, da mir träumte bei Beit Re’evim, an mir heilig benamter Stelle, der Traum vom Hinabstieg, an den Ahnen hinab bis zum Grund, und darunter hinab bis zu Gott?
›Könnt es gewesen sein‹, sprach da Joseph bei sich, ›daß Maria hinabstieg in die Zisterne und ankam unten beim Sklaven, er das Wort ihr aussprach im Namen, als auch ich ankam unten beim Wort, das mich nannte mit Namen und mich tragen hieß? Könnte es sein, daß diese, daß also: Name und Wort, geschehen sind an verschiedenen Orten, aber zur selben Stunde?‹
Und er ging und sprach laut: ›Aber was ist
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