Sunrise: Das Buch Joseph (German Edition)
mich dürstet?‹
Und er dachte bei sich: Sofort würden sie’s sehen. Der erste schon würde’s bemerken. Ja, er hat es bemerkt! Denn wie knapp lief er an mir vorbei! Da vielleicht sah er schon, wie sehr mich dürstet. Und lief hinüber zu seinen Dienern, sie anzuherrschen, die’s nicht bemerkt hatten, sie anzuweisen:
›Bringt dem dort zu trinken – und träufelt ihm erst davon auf die geschundenen Lippen, daß er wisse, was zu ihm kommt, daß er’s schmecke und erwarte und zu euch hinauf öffne die Augen, daß er sieht endlich: Es wird ihm gereicht! Und wenn er getrunken hat, wartet bei ihm, denn sein Durst ist groß. Und derweil nehmt ein wenig davon in die Hand und streicht ihm Tropfen davon über Stirn und Augen und löst ihm den Sand von den schelfrigen Wangen! Und bleibt auch darüber hinaus bei ihm, macht ein Feuer! Denn durchfroren ist er vom Wind. Und führt ein Gespräch unter euch, auf daß eure Stimmen hingehen über ihn und her, daß er’s höre und sich erwärme am Laut eurer Stimmen! Und redet sehnsüchtig von denen, zu denen wir ziehen und die wir erreichen werden, schon in einigen Tagen! Denn nachläßt der Sturm und wird nachlassen an Kraft mehr und mehr. So redet über ihm, daß er ruhig werde an der Gegenwart eurer Worte. Denn ihn hungert und dürstet auch danach.‹
So dachte Joseph von dem, der eben noch an ihm vorbeigegangen im Sand.
Da überkam Joseph erneut Scham und Furcht, so entdeckt zu werden inmitten der Fremden. Denn er sah hin zu den Kamelen und Dienern, die saßen dort drüben. Von den Dienern aber war keiner, der ihn bemerkte.
Und niemand sah den, der da lag unter ihnen.
Da wandte Joseph sich in die andere Richtung und wollte das Tuch über sich ziehen, denn er dachte:
Nur ausruhen will ich mich unter ihnen. Und bemerkten sie mich, vielleicht verwehrt es mir keiner, und sie sagen: ›Lassen wir ihn doch schlafen unter uns, wer ist er schon, es kennt ihn ja niemand. Und was nähme er sich schon in den Schlaf an unseren Stimmen, die der Wind hierhin und dorthin davonträgt? Lassen wir ihn!‹
So dachte Joseph, der kauernd im Sand lag und zu vergessen suchte den Durst und das Tuch über sich hinzog.
Da hört er aus der Richtung, zu der er sich hingewandt hatte, die Stimme eines, der sprach und klang nah.
Und Joseph zog zurück das Tuch und suchte zu erkennen den, der da sprach, und zu verstehen die Worte.
Und er sah einen liegen, nur Schritte entfernt, unter Decken, die abhielten den Sand, und vor einem Kohlenfeuer. Und ein anderer lag ihm gegenüber auf der anderen Seite des Feuers, den Rücken zu Joseph.
Und wärmend kam’s windgetragen herüber und trug auch die Stimme, die Joseph verstand.
Und da Joseph den anderen, zu dem die Stimme doch sprach, nicht sehen konnte, nur den dunklen Umriß eines, der lag und zuhörte und schwieg, des Redenden Gesicht aber im Feuer der Kohle trüb aufschien, während er sprach, war’s Joseph, als spreche der zu ihm und als sei der sein Gegenüber am Feuer, der dunkle Umriß dazwischen aber nur vom Wind aufgeweht.
So daß Joseph lauschte, als sei die Rede an ihn gerichtet des Redenden.
Und schon die ersten Worte, die Joseph vernahm, kamen wie Antwort auf etwas, nachdem ihn zu wissen verlangte.
Denn Joseph hörte sprechen den Fremden:
›Du wirst nicht erlöst.‹
Da war’s Joseph, als spreche der Fremde von Josephs Verdammnis. Als sehe der Fremde Joseph gekettet im Totenreich liegen, ohne Hoffnung auf einen, der ihn erlöst aus abgeschiedenster Dunkelheit.
Und Joseph hörte das Wort:
›… Tränen.‹
Und ihm war, als spreche der Fremde von Tränen, die Joseph geweint, als er in Dunkelheit lag im Grab. Und die er geweint, als er lag im Sturm, da ihn dürstete.
Und Joseph hörte ihn reden das Wort:
›… Die Geschiedenen.‹
Da war ihm, als spreche der Fremde von Joseph und von allem, davon Gott ihn geschieden.
Und Joseph rückte näher, keines der Worte zu versäumen, die der Fremde doch sprach, als spreche er zu Joseph.
Und hörte sagen den Fremden:
›Erinnere’s gut: Du wirst nicht erlöst. Nein, keiner von uns wird erlöst, bis die Tränen Esaus versiegen.‹
Das hörte Joseph und dachte: Der Fremde redet von Esau, uralter Geschichte, von Esaus Tränen, als Jakob dem Esau die Erstgeburt abkaufte für ein Linsengericht. Abstahl dem Bruder auch allverheißenden Segen.
Denn von unter den Händen Isaaks weg, des erblindeten Vaters, der lag im Sterben, stahl Jakob den einzigen Segen. Stahl ihn ab seinem Bruder
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