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Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset

Titel: Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Lage, eine Zeitschrift zu lesen – was ich als großartige Verbesserung betrachtete -, während ich auf den Termin bei meinem nachbehandelnden Arzt wartete. Jemand setzte sich neben mich und sagte: »Kommen Sie, es ist an der Zeit.«
    Ich sah auf. Es war nicht die Frau, die ins Krankenzimmer meines Vaters gekommen war; es war ein Mann in einem ganz gewöhnlichen braunen Anzug. Trotzdem wusste ich, warum er hier war. Es stand für mich keinen Augenblick lang infrage. Außerdem war ich davon überzeugt, falls ich ihn nicht begleitete, würde mir keine Lithotripsie der Welt mehr helfen.
    Wir gingen hinaus. Die Sprechstundenhilfe saß nicht an ihrem Platz, also musste ich meine plötzliche Fahnenflucht nicht erklären. Ich weiß nicht, was ich ihr erzählt hätte. Dass meine Leistengegend schlagartig zu brennen aufgehört habe? Das wäre absurd und auch noch unwahr gewesen.
    Der Mann im Anzug sah aus wie ein Mittdreißiger, der sich gut gehalten hatte: ein Ex-Marine vielleicht, der sich nicht von seinem Bürstenhaarschnitt trennen konnte.Wir gingen um das Ärztehaus, in dem mein Arzt seine Praxis hatte, herum und dann die Straße hinunter zum »Groves of Healing«-Krankenhaus, ich leicht gebeugt vor Schmerzen, die mich zwar nicht mehr mit eiserner Faust umklammert hielten, aber immer noch präsent waren.
    Wir gingen die Treppen hoch, dann durch einen Gang mit Disney-Szenen an den Wänden, wo über uns »It’s a Small World« aus den Lautsprechern tönte. Der Ex-Marine schritt flott voran, als würde er hierhergehören. Ganz im Gegensatz zu mir. Nie hatte ich mich von meinem Zuhause und dem Leben, wie ich es verstand, weiter entfernt gefühlt. Wäre ich wie ein Kinderballon mit dem Aufdruck GUTE BESSERUNG an die Decke geschwebt, hätte es mich nicht überrascht.
    Vor der Schwesternstation drückte mich der Ex-Marine am Arm und bedeutete mir anzuhalten, bis das Personal – eine Schwester, ein Pfleger – durch ihre Arbeit abgelenkt war. Dann gingen wir daran vorbei in einen weiteren Gang, in dem uns ein glatzköpfiges Mädchen, das im Rollstuhl saß, mit hungrigen Augen ansah. Sie streckte uns eine Hand entgegen.
    »Nein«, sagte der Ex-Marine und führte mich einfach weiter. Aber nicht bevor ich noch einmal in diese leuchtenden, sterbenden Augen gesehen hatte.
    Er brachte uns in ein Zimmer, in dem ein etwa dreijähriger Junge in einem transparenten, glockenförmig über sein Bett gespannten Plastikzelt mit Bauklötzchen spielte. Der Junge starrte uns mit lebhaftem Interesse an. Es sah sehr viel gesünder aus als das Mädchen im Rollstuhl – was an seinen dichten roten Locken lag -, seine Haut allerdings hatte die Farbe von Blei.Als der Ex-Marine mich vorwärtsschob und sich dann in einer Art Rührt-euch-Haltung im Hintergrund hielt, bemerkte ich, dass der Junge wirklich sehr krank war. Ich zog den Reißverschluss des Zeltes auf, ohne das Schild an der Wand – ACHTUNG! STERILE UMGEBUNG – zu beachten, und dachte mir, seine noch verbleibende Zeit lasse sich eher in Tagen als in Wochen bemessen.
    Ich streckte die Arme aus und bemerkte den kranken Geruch meines Vaters. Nicht ganz so ausgeprägt, aber im Grunde der gleiche. Der Junge hob ohne die geringste Scheu die Arme. Als ich ihn auf den Mundwinkel küsste, erwiderte er den Kuss mit sehnsüchtigem Eifer, der darauf schließen ließ, dass er sehr lange nicht mehr berührt worden war. Jedenfalls nicht von jemandem, der ihm nicht wehtat.
    Niemand kam herein und fragte uns, was wir hier machten, oder drohte damit, die Polizei zu holen, wie es Ruth an jenem Tag im Krankenzimmer meines Vaters getan hatte. Ich zog den Reißverschluss des Zeltes wieder zu. In der Tür drehte ich mich noch einmal um. Der Junge saß in seinem transparenten Plastikzelt und hielt ein Bauklötzchen in der Hand. Er ließ es fallen und winkte mir zu – das Winken eines Kindes, die Finger öffneten und schlossen sich zweimal. Genauso winkte ich zurück. Er sah bereits besser aus.
    Bei der Schwesternstation drückte der Ex-Marine mich abermals am Arm, aber diesmal wurden wir vom Pfleger entdeckt, einem Mann mit einem missbilligenden Lächeln, wie es vom Dekan meines Englischinstituts zur Kunst erhoben worden war. Er fragte, was wir hier zu suchen hätten.
    »Entschuldigung, Kumpel, falscher Stock«, sagte der Ex-Marine.
    Kurz darauf, auf den Krankenhausstufen, sagte er: »Sie finden allein zurück, oder?«
    »Klar«, sagte ich, »aber ich werde bei meinem Arzt einen neuen Termin ausmachen

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