Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset
aufwendiger Schabernack. Pickering hatte vor, mit offenem Kofferraum, aus dem dieses künstliche Blondhaar flatterte, über die Brücke zu fahren, und dann …
Doch aus dem Kofferraum stiegen jetzt auch Gerüche auf. Es roch nach Scheiße und Blut. Em streckte die Hand aus und berührte die Wange unter einem dieser starrenden Augen. Sie war kalt, aber es war Haut. O Gott, es war menschliche Haut.
Hinter ihr war ein Geräusch zu vernehmen. Schritte. Sie wollte sich umdrehen, und etwas traf sie am Kopf. Es tat nicht weh, aber die Welt explodierte in gleißendem Weiß. Dann wurde es dunkel.
5
Es sah aus, als wollte er »Kommt ein kleines Mäuschen« mit ihr spielen.
Als sie zu sich kam, war sie mit Klebeband an einen Stuhl gefesselt, in einer großen Küche voller schrecklicher Stahlobjekte: Spüle, Kühlschrank, Geschirrspüler, ein Herd, der aussah, als gehörte er in eine Restaurantküche. Ihr Hinterkopf schickte lange, langsame Schmerzwellen zu ihrer Stirn, und jede schien zu sagen: Tu was dagegen! Tu was dagegen!
An der Spüle stand ein hochgewachsener, schlanker Mann in Khakishorts und einem alten Izod-Golfhemd. Die Neonleuchten tauchten alles in gnadenloses Licht, und Em konnte die sich vertiefenden Krähenfüße in seinem Augenwinkel sehen und die grauen Sprenkel am Rand seines korrekten Fassonschnitts. Sie schätzte ihn auf etwa fünfzig. Er wusch sich den Arm an der Spüle. Anscheinend hatte er darin eine Stichwunde, knapp unter dem Ellbogen.
Sein Kopf fuhr herum. Der Mann hatte eine animalische Geschmeidigkeit an sich, die ihr den Magen umdrehte. Seine Augen waren von viel intensiverem Blau als die von Deke Hollis. Sie sah nichts darin, das auf geistige Gesundheit schließen ließ, und ihr wurde noch flauer zumute.Auf dem Boden – von dem gleichen hässlichen Grau wie das Äußere des Hauses, nur Fliesen statt Beton – verlief eine dunkle, gut zwanzig Zentimeter breite Spur. Em nahm an, dass es Blut war. Sie konnte sich gut vorstellen, wie das Haar des blonden Mädchens die Spur hinterlassen hatte, als Pickering sie an den Füßen zu irgendeiner unbekannten Bestimmung durch den Raum schleifte.
»Du bist wach«, sagte er. »Bravo. Echt super. Denkst du, ich wollte sie umbringen? Ich wollte sie nicht umbringen. Sie hatte ein Messer in ihrer gottverdammten Socke! Ich hab sie bloß in den Arm gekniffen, weiter nichts.« Er schien zu überlegen, während er den dunklen, blutgefüllten Schnitt unter seinem Ellbogen mit Küchenkrepp abtupfte. »Na ja, auch in den Busen. Aber das erwarten die Mädels doch. Man nennt es VOR-spiel . Das muss so eine HURE doch wissen.«
Er betonte die Wörter, indem er mit Zeige- und Mittelfinger beider Hände in der Luft Anführungszeichen machte. Es sah aus, als wollte er »Kommt ein kleines Mäuschen« mit ihr spielen. Kein Zweifel, er war vollkommen verrückt. Donner krachte über dem Haus, laut wie eine Ladung herabpolternder Möbel. Em fuhr zusammen – soweit sie es in ihrem fixierten Zustand konnte -, aber der Mann an dem stählernen Spülbecken blickte nicht einmal auf. Als ob er nichts gehört hätte. Schmollend schob er die Unterlippe vor.
»Also hab ich’s ihr weggenommen. Und dann hab ich den Kopf verloren. Ich geb’s ja zu. Die Leute halten mich immer für Mr. Cool, und ich versuche, diesem Ruf gerecht zu werden. Ich gebe mir alle Mühe. Aber jeder kann mal den Kopf verlieren. Das wollen sie nur nicht wahrhaben. Jeder Mensch tut’s. Unter den entsprechenden Bedingungen.«
Der Regen rauschte herab, als hätte Gott dort droben in seinem privaten WC die Spülung gezogen.
»Wer könnte Grund zu der Annahme haben, dass du hier bist?«
»Jede Menge Leute.« Die Antwort kam ohne Zögern.
Wie der Blitz schoss er durch den Raum. Blitz war das passende Wort. Eben noch neben der Spüle, stand er plötzlich vor ihr und schlug ihr so heftig ins Gesicht, dass ihr Funkengarben vor den Augen sprühten und wie Kometenschweife durch den Raum schwirrten. Ihr Kopf schwang zur Seite, das Haar flog ihr gegen die Wange, und sie spürte Blut im Mund, weil ihre Unterlippe aufplatzte. Die Haut innen war von der Kante der Zähne tief zerschnitten worden, fast ganz durch, wie es sich anfühlte. Draußen prasselte der Regen herab. Ich werde sterben, während es regnet, dachte Em. Aber sie glaubte es nicht.Vielleicht glaubte es keiner, wenn es tatsächlich so weit war.
»Wer weiß, wo du bist?« Vornübergebeugt brüllte er ihr ins Gesicht.
»Jede Menge Leute«, wiederholte sie
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