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Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset

Titel: Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schwenkte das blitzende Fleischermesser wie einen Dirigentenstab. Es war hypnotisch. Draußen goss es noch immer. Es würde vielleicht noch eine knappe Stunde so weiterpladdern, dann würde die Sonne wieder vorkommen. Em fragte sich, ob sie dann noch am Leben sein würde. Sie hielt es nicht für wahrscheinlich. Auch wenn das schwer zu glauben war. Im Grunde unmöglich.
    »Du läufst hin und her, hin und her. Manchmal schwatzt du mit dem alten Knaben mit dem Strohhut, aber sonst mit keinem.« Sie war verängstigt, aber nicht zu verängstigt, um zu merken, dass er nicht zu ihr sprach. »Klar. Sonst mit keinem. Weil sonst keiner da ist. Wenn irgendwelche von den Rasen mähenden, Bäume pflanzenden Bohnenfressern, die hier unten arbeiten, dich bei deinem Nachmittagslauf gesehen haben, werden sie sich dran erinnern? Na?«
    Die Messerschneide tickte hin und her. Er folgte der Spitze mit den Augen, als hinge die Antwort davon ab.
    »Nein«, sagte er. »Nein, und ich sag dir auch, warum. Weil du nichts weiter als eine reiche Gringa bist, die sich fit halten will. Die sind überall. Sieht man jeden Tag. Bescheuerte Gesundheitsfanatiker. Muss man überall aus dem Weg fegen.Wenn sie nicht laufen, fahren sie Rad. Mit diesen doofen Helmen auf. Okay? Okay. Zeit zu beten, Lady Jane, aber mach schnell. Ich hab’s eilig. Sehr, sehr eilig.«
    Er hob das Messer auf Schulterhöhe. Sie sah, wie seine Lippen sich im Vorgefühl des Todesstoßes spannten. Für Em wurde die ganze Welt plötzlich klar. Alles trat mit vehementer Strahlkraft hervor. Sie dachte: Ich komme, Amy. Und dann, absurderweise, etwas, was sie vielleicht im Autoradio gehört hatte: Sei da, Baby.
    Doch dann hielt er inne. Er sah sich um, gerade so als hätte jemand ihn angesprochen. »Ja«, sagte er. Dann: »Ja?« Und dann: »Ja.« Mitten im Raum stand eine Küchenblock mit Resopalarbeitsfläche. Er ließ das Messer klappernd darauffallen, statt es in Emily zu stechen.
    »Bleib da sitzen«, sagte er. »Ich werde dich nicht töten. Hab’s mir anders überlegt. Man kann sich’s anders überlegen. Von Nicole hab ich nichts weiter gekriegt als einen Stich in den Arm.«
    Auf der Arbeitsfläche lag eine ausgedünnte Rolle Klebeband Er hob sie auf. Eine Sekunde später kniete er mit bloßgelegtem, verletzlichem Nacken vor ihr. In einer besseren Welt – einer gerechteren Welt – hätte sie die Hände verschränken und sie auf diesen entblößten Nacken schlagen können, aber ihre Handgelenke waren an die stabilen Ahorn-Armlehnen des Stuhls gefesselt. Ihr Oberkörper war mit weiteren Lagen Klebeband an der Rückenlehne festgezurrt, dicke Stränge von dem Zeug, das sie in der Taille und unter den Brüsten wie ein Korsett umspannte. Ihre Beine waren an den Knien, den Waden und den Fußgelenken an den Stuhlbeinen befestigt. Er war überaus gründlich gewesen.
    Die Stuhlbeine waren am Boden festgeklebt, und jetzt brachte er noch weitere Klebstreifen an, erst vorn, dann hinten, bis die ganze Rolle aufgebraucht war. Er stand auf und legte den leeren Pappring auf die Arbeitsfläche zurück. »So«, sagte er. »Nicht schlecht. Okay. Auf geht’s. Du wartest hier.« Irgendwas fand er daran wohl komisch, denn er hob den Kopf und ließ einen dieser kurzen, kläffenden Lacher los. »Und geh mir nicht vor Langeweile stiften, okay? Ich muss mich um deinen neugierigen alten Freund kümmern, am besten gleich, solange es noch regnet.«
    Diesmal schoss er zu einer Tür, die sich als Schranktür entpuppte. Er wühlte eine gelbe Regenjacke heraus. »Ich wusste doch, dass die hier irgendwo drin war. Jedermann vertraut einem, der eine Regenjacke trägt.Weiß auch nicht, warum. Ist einfach eine dieser rätselhaften Tatsachen. Okay, mein Mädchen, bleib schön da.« Er stieß noch einen dieser Lacher aus, die wie das Kläffen eines wütenden Pudels klangen, dann war er fort.

6
Noch immer 9:15.
    Als die Haustür ins Schloss fiel und Em wusste, dass er wirklich gegangen war, begann die abnorme Strahlkraft der Welt in einem Grauschleier zu verschwimmen, und sie spürte, dass sie am Rand einer Ohnmacht war. Sie konnte es sich nicht leisten, ohnmächtig zu werden. Falls es ein Jenseits gab und sie irgendwann ihrem Vater dort begegnete, wie konnte sie Rusty Jackson dann erklären, dass sie ihre letzten Minuten auf Erden in Bewusstlosigkeit vergeudet hatte? Er wäre von ihr enttäuscht. Selbst wenn sie sich im Himmel trafen, knöcheltief in den Wolken, während die Engel ringsumher Sphärenmusik spielten

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