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Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset

Titel: Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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gespürt und gehört. Vielleicht einer der Wangenknochen. Oder die Nase.
    Sie fiel auf die Hände und Knie, und ihr geschwollenes Handgelenk jaulte vor Schmerz, der fast dem Schmerz im Fuß gleichkam. Einen Moment lang sah sie aus wie eine Läuferin (wenn auch mit zerrissenen, verrutschten Shorts), die in den Startlöchern kauernd auf den Startschuss wartete. Dann rannte sie wieder los, nur war es jetzt mehr ein hüpfendes Humpeln. Sie hielt sich dicht am Wellensaum. Gedankenfetzen schwirrten ihr zusammenhangslos durch den Kopf (dass sie aussehen musste wie der hinkende Hilfssheriff in irgendeinem alten Fernsehwestern zum Beispiel – der Gedanke flitzte ihr durch den Kopf und war gleich wieder verschwunden), aber ihr Selbsterhaltungstrieb war ungebrochen und ließ sie instinktiv festen Sand zum Laufen wählen. Hektisch riss sie am Bund ihrer Shorts und sah, dass ihre Hände mit Sand und Blut verschmiert waren. Mit einem Seufzer wischte sie sie an ihrem T-Shirt ab. Sie warf einen Blick über die Schulter, aber die Hoffnung war vergebens; er kam ihr schon wieder nach.
    Sie versuchte es, so gut es ging, rannte, so gut es ging, und der nasse Sand kühlte ihr die brennende Ferse etwas, aber sie schaffte es nicht mehr, auch nur annähernd ihr früheres Tempo zu erreichen. Sie blickte zurück und sah ihn aufholen, sah, wie er alle Kraft zu einem letzten Spurt sammelte.Vor ihr verblassten die Regenbogen, während es unentwegt heller und schwüler wurde.
    Sie versuchte es, so gut es ging, und wusste, es würde nicht reichen. Sie konnte eine alte Oma abhängen, sie konnte einen alten Opa abhängen, sie konnte ihren armen traurigen Ehemann abhängen, aber nicht den blindwütigen Irren hinter ihr. Er würde sie einholen. Sie sah sich suchend nach einer Waffe um, mit der sie auf ihn einschlagen könnte, wenn es so weit war, fand aber nichts. Sie sah die verkohlten Reste eines Lagerfeuers, aber die Stelle war viel zu weit weg, fast am Rand der Dünen. Er würde sie noch schneller einholen, wenn sie in die Richtung abbog, wo der Sand weich und trügerisch war. Hier unten am Wasser war es schon schlimm genug. Sie konnte ihn herannahen hören, konnte hören, wie er keuchte und schwarzes Blut aus der gebrochenen Nase schnaubte. Sie konnte sogar das hurtige Klatschen seiner Turnschuhe auf dem feuchten Sand hören. Sie wünschte sich so sehr, noch jemand anders am Strand zu sehen, dass sie einen Moment lang einen hochgewachsenen weißhaarigen Mann mit großer krummer Nase und wettergegerbter Haut zu erblicken meinte. Dann wurde ihr klar, dass sie ihren Vater heraufbeschworen hatte – eine letzte Hoffnung -, und die Illusion verpuffte.
    Er kam dicht genug heran, um nach ihr zu greifen. Er streifte ihr T-Shirt mit der Hand, bekam es beinah zu fassen, glitt ab. Das nächste Mal würde er sie schnappen. Sie bog ins Wasser ab und platschte bis zu den Waden hinein. Es war das Einzige, was ihr noch einfiel, das Letzte. Sie hatte die vage, nebelhafte Idee, vor ihm wegzuschwimmen oder ihn wenigstens im Wasser abzuwehren, wo die Chancen etwas ausgewogener wären; zumindest würde das Wasser die Hiebe dieser fürchterlichen Schere bremsen.Wenn sie tief genug hineinkam.
    Ehe sie sich nach vorn werfen und zu kraulen beginnen konnte – ehe sie auch nur bis zu den Schenkeln eintauchen konnte -, packte er sie beim T-Shirt, riss sie zurück und zerrte sie wieder zum Strand hin.
    Em sah die Schere über ihrer Schulter aufblitzen und langte danach. Sie versuchte, sie ihm zu entwinden, aber es war hoffnungslos. Pickering hatte festen Halt im knietiefen Wasser gefunden und stemmte sich breitbeinig gegen den Sand aufwirbelnden Rücksog der Wellen. Sie stolperte und fiel gegen ihn. Sie stürzten zusammen ins Wasser.
    Pickerings Reaktion war unmissverständlich, selbst in dem nassen Durcheinander: Er bäumte sich auf und schlug krampfhaft um sich.Wie ein Feuerwerk in dunkler Nacht blitzte es in ihrem Kopf auf. Er konnte nicht schwimmen. Pickering konnte nicht schwimmen. Er besaß ein Haus am Golf von Mexiko, aber er konnte nicht schwimmen. Und es leuchtete ihr völlig ein: Seine Besuche auf Vermillion Key hatten lediglich den Innenaktivitäten gegolten.
    Sie rollte von ihm weg, und er machte keine Anstalten, sie zu packen. Er saß bis zur Brust im wirbelnden Schaum der Wellen, die noch vom Sturm aufgewühlt waren, und seine ganze Anstrengung zielte darauf ab, sich aufzurappeln und seine kostbare Atmung vor einem Element zu bewahren, mit dem er nie umzugehen

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