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Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset

Titel: Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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und am Strand war keiner da, um ihn zu retten.
    Keiner außer ihr.
    Es war wirklich nicht möglich, dass er wieder an Land zurückkam, dessen war sie sich sicher, aber sie humpelte trotzdem zu den Resten des Lagerfeuers hinauf und klaubte das größte der verkohlten Holzscheite heraus. Dann stand sie da, mit ihrem langen Schatten hinter sich, und sah einfach nur zu.

12
Ich glaube, es ist mir lieber so.
    Er hielt noch lange durch. Sie konnte nicht sagen, wie lange genau, weil er ihr die Uhr abgenommen hatte. Nach einer Weile hörte er auf zu schreien. Dann war nur noch ein heller Kreis über dem dunkelroten Fleck seines Golfhemds zu sehen, und blasse Arme, die fliegen wollten. Und ganz plötzlich war er weg. Sie dachte, vielleicht würde noch einmal ein Arm zum Vorschein kommen, auftauchen wie ein Periskop und unbeholfen herumschwenken, aber nein. Er war einfach verschwunden. Blubb. Sie war fast ein bisschen enttäuscht. Später würde sie wieder sie selbst sein – ein besseres Selbst vielleicht -, doch im Moment wollte sie ihn weiter leiden sehen. Sie wollte, dass er in panischer Angst starb, und nicht schnell. Für Nicole und all die anderen Nichten, die es vor Nicole noch gegeben haben mochte.
    Bin ich jetzt eine Nichte?
    In gewisser Weise wohl schon. Seine letzte Nichte. Die, die so schnell gelaufen war, wie sie konnte. Die, die überlebt hatte. Sie setzte sich neben das ausgebrannte Lagerfeuer und warf das verkohlte Holzscheit weg. Es hätte ohnehin keine taugliche Waffe abgegeben; wahrscheinlich wäre es wie ein Kohlestift zerbrochen, wenn sie damit zugeschlagen hätte. Die Sonne glühte in tiefem Orange. Bald würde der Horizont Feuer fangen.
    Sie dachte an Henry. Sie dachte an Amy. Da war jetzt nichts mehr, aber einst war da etwas gewesen – etwas so Schönes wie ein doppelter Regenbogen über dem Strand -, und das war gut zu wissen, gut, sich daran erinnern zu können. Sie dachte an ihren Vater. Bald würde sie aufstehen und sich zur Grashütte schleppen und ihn anrufen. Aber noch nicht gleich. Später. Es war so angenehm, mit den Füßen im Sand dazusitzen und die schmerzenden Arme um die Knie zu schlingen.
    Die Wellen rollten heran.Von ihren zerrissenen blauen Shorts oder Pickerings rotem Golfhemd war nichts zu sehen. Das Meer hatte sie beide aufgenommen. War er ertrunken? Wahrscheinlich – doch andererseits war er so plötzlich verschwunden, ohne auch nur ein allerletztes Winken …
    »Ich glaube, etwas hat ihn erwischt«, sagte sie in die dunkelnde Luft. »Ich glaube, es ist mir lieber so. Gott weiß, warum.«
    »Weil du auch nur ein Mensch bist, Kindchen«, sagte ihr Vater. »Schlicht und einfach.« Und sie nahm an, dass es wirklich so schlicht und so einfach war.
    In einem Horrorfilm hätte Pickering sich ein letztes Mal aufgebäumt: wäre entweder brüllend aus der Brandung aufgetaucht oder hätte sie tropfend, aber immer noch voller Unternehmungslust, in ihrem Schlafzimmerschrank erwartet. Aber das hier war kein Horrorfilm, das hier war ihr Leben. Ihr eigenes kleines Leben. Sie würde es leben, angefangen mit dem langen humpelnden Gang zum Haus, dessen Schlüssel in einer Blechschachtel unter dem hässlichen alten Gartenzwerg mit der verblichenen roten Mütze verborgen lag. Sie würde die Tür aufsperren, ans Telefon gehen und ihren Vater anrufen. Dann die Polizei. Und später wohl auch Henry. Noch hatte er wohl das Recht zu erfahren, dass es ihr gutging, obwohl er es nicht immer haben würde. Oder, nahm sie an, selbst noch haben wollte.
    Über dem Golf segelten drei Pelikane herab, streiften das Wasser und stiegen mit Blick nach unten wieder auf. Mit angehaltenem Atem sah sie zu, wie sie einen Punkt des perfekten Gleichgewichts in der orangefarbenen Luft erreichten. Ihre Miene – zum Glück wusste sie das nicht – war die des Kindes, das am Leben hätte bleiben können, um auf Bäume zu klettern.
    Die drei Vögel legten die Flügel an und stießen im Formationsflug herab.
    Emily applaudierte, obwohl es ihrem geschwollenen Handgelenk wehtat, und rief: »Yo, Pelikane!«
    Dann fuhr sie sich mit dem Arm über die Augen, strich die Haare zurück, stand auf und ging langsam nach Hause.
     
    AUS DEM AMERIKANISCHEN VON SABINE LOHMANN

HARVEYS TRAUM
    Janet dreht sich von der Spüle um, und rums! sitzt der Mann, mit dem sie seit fast dreißig Jahren verheiratet ist, in weißem T-Shirt und Big-Dog-Boxershorts am Küchentisch und beobachtet sie.
    Immer öfter findet sie diesen Wochentagskapitän der Wall

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