Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset
erzählen. Wie er noch die Zeit gehabt hatte, sich das Zweite Buch Saufus auszudenken. Andererseits könnte das für ihr zwangloses Beisammensein alle zwei Wochen auch ein etwas harter Stoff sein, etwas zu …
Dykstra wurde aus seinen Gedanken gerissen – in der Damentoilette hagelte es plötzlich Schläge. Lee-Lee war endgültig ausgerastet. Als Dykstra das hörte, verspürte er die Verzweiflung eines Mannes, dem endgültig klargeworden war, dass er dieses Ereignis sein Leben lang nicht vergessen würde – dass das kein Geräuschmacher war, wie er in Filmen benutzt wurde, sondern Fäuste, die erstaunlich leise, ja fast sanft zuschlugen, wie auf ein Federkissen. Die Frau schrie, erst überrascht, dann vor Schmerzen. Schließlich waren von ihr nur noch stoßweise leise ängstliche Schmerzenslaute zu hören. Dykstra stand draußen in der Dunkelheit und musste an all die Fernsehspots der Polizei denken, in denen erklärt wurde, wie häusliche Gewalt verhindert werden konnte. Sie hatten vergessen zu erwähnen, wie man mit einem Ohr das Rauschen des Windes in den Palmen (und, nicht zu vergessen, das Rascheln der Poster mit den vermissten Kindern) hören konnte und mit dem anderen das leise Ächzen, das die Frau vor Schmerzen und Angst ausstieß.
Er hörte, wie Sohlen über Fliesen schlurften – Lee (Lee-Lee, wie die Frau ihn genannt hatte, als könnte ein Kosename seinen Zorn dämpfen) war nicht mehr zu bremsen. Wie Rick Hardin trug auch Lee Stiefel. Die Lee-Lees dieser Welt trugen keine Halbschuhe oder Sandalen. Die Lee-Lees dieser Welt trugen Arbeitsstiefel mit Stahlkappen. Oder Bikerstiefel. Die Frau dagegen hatte Turnschuhe an. Weiße, knöchelfreie Turnschuhe, davon war Dykstra überzeugt.
»Du Schlampe, du verfluchte Schlampe, ich hab doch gehört, wie du mit ihm geredet hast! Bestimmt hast du ihm deine Titten unter die Nase gehalten, du mieses Flüttchen …«
»Nein, Lee-Lee, ich hab doch nie …«
Das Geräusch eines weiteren Schlags, und dann ein kehliges Husten, bei dem nicht zu erkennen war, ob es von einem Mann oder einer Frau stammte. Ein Würgen.Wer auch immer die Toiletten saubermachte, würde morgen zusehen müssen, wie er das Erbrochene vom Boden und von den gefliesten Wänden bekam. Lee und seine Frau – oder seine Freundin – wären dann natürlich längst verschwunden, und für die Reinigungskraft wäre es eine Schweinerei wie jede andere, er oder sie würde sich nicht weiter dafür interessieren, was da passiert war. Und was sollte Dykstra tun? Himmel, hatte er den Mut, da reinzugehen? Wenn nicht, hörte Lee vielleicht irgendwann auf, wenn sich allerdings ein Fremder einmischte …
Bringt er uns vielleicht beide um.
Aber …
Das Baby! Denk doch an das Baby!
Dykstra ballte die Hände zu Fäusten und dachte: Beschissener Hausfrauensender!
Die Frau würgte noch immer.
»Ellen, hör auf!«
»Ich kann nicht!«
»Nicht? Also, schön. Dann muss ich wohl nachhelfen. Mieses … Flüttchen! «
Ein weiteres Klatschen verlieh dem »Flüttchen« Nachdruck. Dykstra rutschte das Herz noch ein Stück weiter in Richtung Hosen. Das hätte er nicht für möglich gehalten. Bald würde es in seinem Bauch schlagen. Wenn er sich nur in den Hund verwandeln könnte! In einer Geschichte bekäme er das hin – hatte er sich nicht sogar Gedanken über seine Identität gemacht, bevor er den gravierenden Fehler begangen hatte, in diesen Rastplatz einzubiegen? In den Leitfäden für angehende Schriftsteller nannte man das eine »Vorahnung«.
Jawohl, er würde sich in seinen Berufskiller verwandeln, in die Damentoilette stolzieren, Lee krankenhausreif prügeln und dann in Ruhe weiterfahren. Wie Shane in diesem alten Streifen mit Alan Ladd.
Die Frau würgte schon wieder, und es klang wie eine Maschine, die Kieselsteine zu Sand zerrieb. Da begriff Dykstra, dass er sich nicht in den Hund verwandeln würde. Der Hund war nur eine Erfindung. Das hier war die Wirklichkeit, und die war mindestens so ekelerregend wie die Zunge eines Besoffenen.
»Noch einmal, und du hast dir alles selbst zuzuschreiben«, sagte Lee heiser, und es klang, als wäre es sein tödlicher Ernst. Gleich würde er ihr den Rest geben. Dykstra war sich da völlig sicher.
Ich werde vor Gericht aussagen. Und wenn sie mich fragen, was ich getan habe, um ihn aufzuhalten, werde ich sagen, dass ich nichts getan habe. Dass ich gelauscht habe. Dass ich mir alles eingeprägt habe. Um alles bezeugen zu können. Und dann werde ich erklären, dass
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