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Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset

Titel: Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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künftigen Nachmittage gebrannt hat.
    Eine Brise erhebt sich. Eine heiße Brise. Janice’ Haare flattern seitlich vom Kopf, und ihre Ohren können das endlos mahlende Grollen noch besser hören als vorher. Während sie das alles beobachtet, fällt ihr ein, wie sie Tennisbälle übers Netz schlägt, die so dicht beieinander landen, dass man sie in einem Kochtopf auffangen könnte. Und genauso schreibt sie auch. Das ist ihr Talent. Oder war es.
    Sie denkt an die Wanderung, die Bruce und seine Freunde nicht unternehmen werden. Sie denkt an die Party im Holy Now!, zu der sie nicht erscheinen werden. Sie denkt an die Alben von Jay-Z, Beyoncé und The Fray, die sie nicht spielen werden – kein großer Verlust. Und sie denkt an die Country-Music, die sich ihr Dad auf dem Weg von und zur Arbeit in seinem Pick-up anhört. Ja, das ist irgendwie besser. Sie wird an Patsy Cline oder Skeeter Davis denken, und schon bald wird sie vielleicht dem, was von ihren Augen noch übrig ist, beibringen können, nicht hinzuschauen.
     
    AUS DEM AMERIKANISCHEN VON FRIEDRICH MADER

N.

1. Der Brief
    28. MAI 2008
    Lieber Charlie,
    es kommt mir seltsam und zugleich ganz natürlich vor, mich so an dich zu wenden, obwohl ich bei unserer letzten Begegnung nur halb so alt war wie heute. Ich war sechzehn und wahnsinnig in dich verknallt. (Hast du das gewusst? Natürlich hast du es gewusst.) Inzwischen bin ich eine glücklich verheiratete Frau mit einem kleinen Sohn, und ich sehe dich ständig auf CNN, wie du über medizinische Fachfragen redest. Du bist noch genauso gut aussehend (zumindest fast!) wie »früher«, als wir drei zum Angeln gingen oder uns im Railroad in Freeport Filme ansahen.
    Die Sommer von damals scheinen ewig lange her zu sein. Du und Johnny, ihr wart unzertrennlich, und manchmal, wenn euch der Sinn danach stand, durfte ich auch mit – was wahrscheinlich öfter passierte, als ich es verdient hatte! Dein Beileidsbrief hat viele Erinnerungen in mir wachgerufen, und ich musste oft weinen. Nicht nur um Johnny, sondern um uns drei. Und wohl auch darum, wie schlicht und unkompliziert wir das Leben damals fanden.Wir waren einfach unangreifbar!
    Natürlich hast du seine Todesanzeige gesehen. »Unfall« – hinter diesem Wort können sich so viele Sünden verbergen. In den Nachrichten hieß es, Johnny sei durch einen Sturz ums Leben gekommen, und es war ja tatsächlich ein Sturz – an einem Ort, den wir alle gut kannten und nach dem er mich erst an Weihnachten gefragt hatte. Aber es war kein Unfall. Er hatte einiges an Beruhigungsmitteln im Blut. Nicht annähernd genug, um ihn umzubringen, doch nach Meinung des Gerichtsmediziners reichten die Sedativa, um ihm die Orientierung zu rauben, vor allem wenn man davon ausgeht, dass er sich über das Geländer gebeugt hat. Daher die Festlegung der Todesursache als »Unfall«.
    Aber ich weiß, dass es Selbstmord war.
    Weder in seinem Haus noch bei seiner Leiche wurde ein Abschiedsbrief gefunden, doch möglicherweise wollte Johnny uns dadurch schonen. Du als Arzt weißt bestimmt, dass die Suizidrate bei Psychiatern extrem hoch ist. Fast als wäre das Leid ihrer Patienten eine Art Säure, die langsam, aber sicher die psychischen Barrieren der Therapeuten zerfrisst. In den meisten Fällen sind diese Barrieren stark genug, um dem Ansturm standzuhalten. Und in Johnnys Fall? Ich glaube nicht … dank eines einzigen ungewöhnlichen Patienten. Und zudem hat er in den letzten zwei, drei Monaten seines Lebens nicht viel geschlafen. Was für furchtbar dunkle Ringe er unter den Augen hatte! Außerdem sagte er überall Termine ab. Er unternahm lange Fahrten. Wohin, wollte er nicht verraten, aber ich habe da so eine Ahnung.
    Damit komme ich zu dem Manuskript, das ich diesem Brief beigefügt habe. Ich hoffe, du wirst es dir genauer ansehen. Ich weiß, dass du sehr beschäftigt bist, aber denk einfach – falls es hilft! – an die kleine Göre mit dem zerfransten Pferdeschwanz, die total in dich verschossen war und euch immer hinterherlaufen musste!
    Johnny praktizierte zwar allein, aber in seinen letzten vier Lebensjahren hatte er sich lose mit zwei anderen »Seelenklempnern« zusammengeschlossen. Johnnys aktuelle Patientenakten (nicht viele, weil er kaum noch Fälle übernommen hat) gingen nach seinem Tod an einen dieser zwei Psychiater. Besagte Akten befanden sich alle in seiner Praxis. Auf das kurze Dokument jedoch, das diesem Brief beiliegt, stieß ich, als ich sein häusliches Arbeitszimmer leerräumte.

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