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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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denn es war mir unmöglich, irgendeine Geste dieses Mannes zu ignorieren, selbst wenn ich dabei gegen die unschuldigen Frauen am Tisch mit ihm gemeinsame Sache machte. Das ist wohl etwas, wozu Tyrannen fähig sind. Sie lassen einen um ihre Aufmerksamkeit buhlen; sie lassen einenAufmerksamkeit mit Gnade verwechseln. «Das ganze Geld fürs Elderbird, fürs Barnard, und wofür noch?», fragte der Doktor. «Sie haben nichts zu sagen. Die eine demonstriert, die andere gibt mein Geld aus.» Er sprach mit dem Anflug eines britischen Akzents, den er sich während einer Ausbildungsstation in Manchester angeeignet hatte. Die Gediegenheit seiner Aussprache verängstigte mich erst recht. Er war ein formvollendet kleiner Mann, der uns auf seine besondere Weise turmhoch überragte.
    «Ehrlich gesagt», wandte ich ein, «sind es auch gerade keine guten Zeiten fürs Sprechen und Schreiben. Junge Menschen drücken sich auf andere Arten aus.»
    «Ja, ja.» Mrs.   Park nickte mir zu, eine winzige Hand vorm ebenso winzigen Gesicht, das rot wurde wie vorher das ihrer Töchter, die andere Hand nervös über ihrer Reisschüssel schwebend. «So ist Zeit, die wir leben», sagte sie. «Dies ist Endzeit.» Und dann zu ihren Töchtern: «Daddy will nur Bestes. Hört auf ihn.»
    Ich überging den erschreckenden Bibelbezug und fuhr fort, die Frau, die ich liebte, zu preisen. «Es überrascht Sie vielleicht, aber Eunice spricht ganz hervorragende Sätze. Neulich erst haben wir über   –»
    Dr.   Park begann, leise auf Koreanisch mit Eunice und Sally zu reden. Zwanzig Minuten lang redete er, verschanzt hinter seiner dunklen Brille, auf sie ein, unterbrach sich nur kurz, um innerhalb einer Sekunde sein Glas zu füllen und wieder zu leeren. Die beiden saßen da und wurden wieder rot, schauten einander gelegentlich an, um einzuschätzen, wie wohl die andere mit der Strafpredigt fertigwurde. Niemand aß außer mir. Ich war hungrig wie noch nie, spürte schon, wie ich schwach wurde, unterzuckert. Die Kellner brachten enorme, dampfende Mahlzeiten. Eine große Schüssel Baby-Tintenfisch wurde vor mich hingestellt,scharf und süß, umgeben von
ddok
, kleinen runden Reiskuchen, die die Gewürze wie ein Schwamm aufsogen. Mit so viel Würze im Mund wurde ich nervös, zumal sich aus dem von Dr.   Park weiter Worte ergossen. Ich nahm mir eine Schüssel mit sauer eingelegtem Gemüse und Senfeiern, um mich abzukühlen; die Aromen des Tintenfischs, der Frühlingszwiebeln, der Chilischoten, der in Sesamöl getränkten, orange gefärbten Zwiebeln verstärkten sich gegenseitig. Ich konnte nicht aufhören zu essen. Ich versuchte nach der Flasche Soju zu greifen, doch Dr.   Park schob meine Hand weg und schenkte mir selbst ein, ohne die Tirade an seine winzig kleinen Töchter zu unterbrechen, die durch den weiten Sund des Tischs von ihm getrennt waren.
    Ich glaubte das Wort
hananim
zu hören, das auf Koreanisch «Gott» bedeutet, und den zutiefst beleidigenden Ausdruck
michi-nnoen
, bei dem Eunice so verletzt, traurig und lang anhaltend ausatmete, dass ich mich fragte, ob sie überhaupt je wieder Luft in die Lungen bekommen würde. Die Hand von Mrs.   Park schwebte weiter über ihrer metallenen Reisschüssel und berührte gelegentlich den Rand. Nach meiner Erfahrung war es für Koreaner höchst ungewöhnlich, vor einer Mahlzeit zu sitzen und nichts zu sich zu nehmen. Ich schloss die Augen und ließ zu, dass mein Gaumen Feuer fing. Ich driftete über den Tisch und hinaus in die stickige Luft von Midtown. Ich wünschte mir, stärker zu sein und Eunice helfen zu können – oder mich zumindest vor sie zu stellen und einen Teil der Qualen abzufangen. Ich wollte mein Gesicht in der Wärme ihrer Haare vergraben, in deren Duft nach Moschus und Ölen, weil das mein Zuhause war. Weil ich wusste, sie war körperlich und seelisch zu klein und verehrte ihre Familie, die Vorstellung von ihrer Familie viel zu sehr, als dass sie diesen Schmerz allein ertragen konnte. War sie etwa deshalb nach Rom geflohen und hatteItalienisch gelernt, hatte sie sich etwa aus diesem Grund einen freundlichen und gefügigen, wenn auch nicht schönen Gefährten gesucht und ein anderer Mensch werden wollen? Doch den Dr.   Parks dieser Welt entkommt man nie. Joshie hatte uns gebeten, ein Tagebuch zu führen, weil die Funktionsweise unseres Hirns sich ständig verändert und wir uns mit der Zeit in ganz andere Menschen verwandeln. Genau das wünschte ich mir für Eunice: dass die Synapsen, die auf

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