Super Sad True Love Story
haben uns das alles ausgedacht, wir haben diese ‹große Lüge› erfunden, aus der das gesamte Christentum, die gesamte westliche Zivilisation erwachsen sind, weil auch wir uns geschämt haben. So viel Scham. Die Scham, von stärkeren Völkern überwältigt worden zu sein. Das endlose Märtyrertum. Das Klagen am Grab der Vorfahren. Wir hätten mehr für sie tun können! Wir haben sie enttäuscht. Der Zweite Tempel ist verbrannt. Korea ist verbrannt. Unsere Großeltern sind verbrannt. So viel Scham! Erhebt euch von den Knien. Werft euer Herz nicht weg. Behaltet euer Herz. Euer Herz ist das Einzige, was zählt. Werft eure Scham weg! Werft eure Bescheidenheit weg! Werft eure Vorfahren weg! Werft eure Väter und die selbsternannten Väter weg, die behaupten, die Statthalter Gottes zu sein. Werft eure Schüchternheit weg und euren Zorn, der nur wenige Zentimeter darunter liegt. Glaubt die judochristliche Lüge nicht! Akzeptiert eure Gedanken! Akzeptiert eure Wünsche! Akzeptiert die Wahrheit! Und wenn es mehr als eine Wahrheit gibt, dann lernt das Schwierige – lernt zu wählen. Ihr seid gut genug, ihr seid
Mensch genug
, um zu wählen!»
Ich war so sehr im Rausch meiner eigenen Wut, einer Wut, die in der simplen Bitte, «Dr. Park, bitte schlagen Sie Ihre Frau und Ihre Töchter nicht», wohl viel besser kanalisiert worden wäre, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie die Gemeinde um mich herum aufgesprungen war und nun «Rose of Sharon» schmetterte. Es zeigte sich, dass dies der Abschluss des Sünderkreuzzugs war. Mein Blick streifte den eines Mithebräers, den es ebenfalls juckte, aus dem Saal zu gelangen, weg von den Schwiegereltern und in die Arme seiner Süßen. Inniglich erzürnt flehte Jesus um unsere Seele selbst, aber wir waren zu müde, zu hungrig, ihm bis zum Ende zuzuhören, sogar zu hungrig, die Fragen von Reverend Suks Predigtquiz zu beantworten («Nur zum Spaß! Nicht benotet!»), das die jungen Leute mit den Schärpen in den Reihen verteilten.
Dienernd verließen wir den Madison Square Garden und zogen in ein neues Restaurant auf der 35th Street, dessen Spezialität
nakji bokum
war, mit Chilipaste, Chilipulver und anderen mörderischen Scharfmachern gewürzter, gebratener Tintenfisch. «Vielleicht für Sie zu scharf?», fragte Eunice’ Mutter, die übliche Frage an Weiße.
«Ich habe es schon sehr oft gegessen», sagte ich. «Sehr lecker.»
Mrs. Park sah mich höchst misstrauisch an.
Man führte uns in einen kleinen leeren Nebenraum, wo wir unsere Schuhe ausziehen und uns im Schneidersitz um einen Tisch drängen mussten. Mit harntreibendem Entsetzen fiel mir auf, dass einer meiner Socken ein riesiges Loch hatte, durch das alle meine milchweiße Haut betrachten konnten. Ich bedachte Eunice mit einem Warum-hast-du-mir-nichts-gesagt-Blick, doch sie war durch die Kollision ihrer beider Welten zu verängstigt, um mein eindringliches Starren zu bemerken. Sie warf ihre spitzen Kirchenschuhevon sich und machte es sich am Tisch unbequem. Die Älteren drängten sich auf einer Tischseite; Eunice und Sally saßen uns demütig gegenüber. Mrs. Park begann zu bestellen, doch ihr Mann unterbrach sie und schleuderte einem pickligen jungen Kellner mit einer glänzenden Haarparabel auf der Stirn eine Reihe von Grunzlauten entgegen. Sofort wurde ihm eine Flasche Soju, koreanischer Schnaps, serviert. Ich versuchte, nach der Flasche zu greifen und ihm einzuschenken, denn in dieser Kultur obliegt es den Jüngeren, die Älteren zu bedienen (als wären die Alten irgendwie besser als wir und nicht bloß der Auslöschung näher), doch er schob meine Hand energisch weg und goss sich selber ein. Er nahm mein Glas, stellte es vor sich hin und schenkte es mit einer präzise abgemessenen Bewegung voll. Dann schob er es mit dem Zeigefinger wieder in meine Richtung. «Oh, vielen Dank», sagte ich. Ich schwenkte die Flasche vor Eunice und Sally herum. «Möchte noch jemand von dem guten Zeug?» Beide wandten den Blick ab. Dr. Park schluckte schweigend seine Medizin.
«Na dann», sagte ich. «Ich muss schon sagen, es ist wirklich toll, Eunice seit einer Woche als Mitbewohnerin zu haben, gerade jetzt, wo so viel –»
«Hee-young!», bellte Dr. Park Sally an. «Was macht das Studium?»
Sally wurde rot. Ein kalter Rettichwürfel entglitt ihren Stäbchen. «Ich», sagte sie. «Ich –»
«Ich, ich», äffte Dr. Park sie nach. Kurz wandte er sich zu mir, wie zu einem Mitverschwörer. Ich lächelte ihn an,
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