Supernova
sich erneut zu einem Lächeln. »Klar doch,
sonst hätten Sie mich ja gar nicht kommen lassen.« Sie sah
Martin an. »Folgen Sie mir.«
Als sei die Situation noch nicht kompliziert genug, kam, als sie
sich umdrehte, eine kleine Menschengruppe durch die Röhre auf
sie zu: ein paar Entertainer der Unterhaltungsabteilung, ein oder
zwei Geschäftsreisende, eine Hand voll müde wirkender,
gerade aus dem Kälteschlaf erwachter Passagiere vom Zwischendeck
mit ihren Schiffskoffern – und Wednesday. Im selben Augenblick
bemerkte sie Steffi und konnte natürlich nicht einfach
vorbeigehen. »Ah, Flughauptmann Grace? Sind Sie gerade
beschäftigt? Ich wollte nur sagen, dass es mir Leid tut wegen
neulich…«
»Ist schon in Ordnung«, erwiderte Steffi müde und
überlegte, wie sie am schnellsten an ihr vorbeikommen konnte.
»Geht es Ihnen gut? Wie ich sehe, wollen Sie nach unten. Haben
Sie etwas Bestimmtes vor? Werden Sie etwas besichtigen?«
Wednesdays Miene hellte sich leicht auf. »Ja, ich gehe auf
Besichtigungstour.« Unvermittelt fügte sie in sachlichem
Ton hinzu: »Morgen findet eine Gedenkfeier in der…
Botschaft statt. In der Hauptstadt. Jeder Durchreisende, der aus
Moskau stammt, ist dazu eingeladen. Die Einladung war heute Morgen in
meinem Briefkasten. Dachte, ich sollte daran teilnehmen. Nach
Reichszeit ist es jetzt fünf Jahre her.«
»Na, dann gehen Sie nur«, beeilte sich Steffi zu sagen.
»Falls Sie nach Ihrer Rückkehr gern darüber reden
würden, können Sie mich jederzeit anrufen – im Moment
geht’s bei mir ein bisschen rund.« Zu ihrer Erleichterung
nickte Wednesday und eilte gleich darauf davon, um wieder zu der
Gruppe der Tagesausflügler zu stoßen. Auf was hab ich
mich da bloß eingelassen?, fragte sich Steffi. Nach diesem
verheerenden Zusammenbruch am ersten Abend war sie noch einige
Stunden bei Wednesday sitzen geblieben, während das Mädchen
seinen ganzen Kummer herausgelassen hatte. Bei Steffi hatte das den
dringenden Wunsch ausgelöst, irgendjemandem die Gurgel
umzudrehen – nicht nur den Unbekannten, die Wednesdays Familie
umgebracht hatten, sondern auch Wednesday selbst. Denn sie hatte
schnell gemerkt, wie viel Zeit Wednesday einen kosten konnte.
Vorsichtig hatte sie sich später von ihr zurückgezogen und
den Stewards einen Bericht gegeben. Als sie am nächsten Tag nach
Wednesday gesehen hatte, war sie offenbar schon wieder auf dem Damm.
Sie steckte viel mit dem Troll aus B 312 zusammen. In diesem Alter
waren sie unverwüstlich. Sie selbst war so weich wie Gummi
gewesen, als ihre Eltern sich getrennt hatten. Soweit sie sich
erinnern konnte, hatte sie sich allerdings nicht an der Schulter
einer völlig fremden Person ausgeweint, hatte auch nicht ihr
Innerstes nach außen gekehrt oder versucht, beim Abendessen mit
Wildfremden einen Streit vom Zaun zu brechen. Ihrer Einschätzung
nach war Wednesday schlicht verwöhnt, wie die meisten Kinder
reicher Leute. Wahrscheinlich hatte sie in ihrem bisherigen Leben nie
Grund gehabt, sich irgendwelche Sorgen zu machen.
Als Steffi bis zum Fahrstuhl der Besatzung gelangt war, merkte sie
zu ihrer Bestürzung, dass der Mann von der Botschaft ihr immer
noch folgte. Was ist er? Eine menschliche Klette? »Wir
können uns eine Ecke im Planungsraum der
Führungskräfte suchen, vielleicht auch ein
Besprechungszimmer. Oder ich kann, falls Sie nichts dagegen haben,
noch ein paar Dinge erledigen, bei denen ich die Aufsicht
übernehmen sollte.« Und dich auf diese Weise loswerden,
nicht wahr?
»Falls Sie diese Arbeiten persönlich überwachen
müssen, komme ich einfach mit und halte mich aus dem Weg,
während Sie Ihre Dinge erledigen.« Springfield lehnte sich
gegen die Fahrstuhlwand. Er sah so aus, als sei er entweder müde
oder beunruhigt – vielleicht auch beides. »Allerdings werde
ich Ihnen viel Arbeit machen, fürchte ich. Botschafter Cho hat
mich zum Herumschnüffeln hierher geschickt, weil ich derjenige
aus seinem Stab bin, den man noch am ehesten als Schiffsexperten
bezeichnen könnte. Ich fürchte, wir haben da ein Problem,
bei dem wir die Stecknadel im Heuhaufen suchen müssen.
Insbesondere haben wir Grund anzunehmen, dass einer oder mehrere
Ihrer Langzeit-Passagiere das Schiff als Mittel dazu benutzt haben,
in den letzten Anlaufhäfen eine Serie schlimmer Dinge zu
begehen.«
Als der Fahrstuhl sich der Abteilung näherte, in der die
externen Stromversorgungskabel angeschlossen wurden, drosselte er das
Tempo. »Geht es dabei um Schmuggel, Sir? Um den
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