Supernova
der
geschäftsführenden Regierung der Überlebenden widme
ich mein ganzes Leben einer einzigen Aufgabe: Zeugnis vom Geschehen
abzulegen und die Schuldigen aufzuspüren, wer immer sie sind und
wo immer sie Unterschlupf gefunden haben. Man wird sie zur
Rechenschaft ziehen. Und diese Abrechnung wird zur Abschreckung
ausreichen, sollte irgendjemand ähnliche Gräueltaten
für die Zukunft erwägen.«
Sie hielt kurz inne und neigte den Kopf leicht schräg, als
lausche sie auf irgendetwas. Als sie fortfuhr, merkte Wednesday, dass
sie tatsächlich auf etwas lauschte. Irgendjemand liest ihr
eine Rede vor, und sie gibt sie einfach nur wieder! Wednesday war
so bestürzt, dass sie die nächsten Worte der Botschafterin
beinahe nicht mitbekommen hätte. »Wir legen jetzt eine
Schweigeminute ein. Vielleicht möchten diejenigen unter uns, die
an ein höheres Geschick glauben, ein Gebet sprechen. Die anderen
können Trost daraus ziehen, dass keiner von uns allein gelassen
ist. Gemeinsam werden wir dafür sorgen, dass unsere Freunde und
unsere Familien nicht umsonst gestorben sind.«
Wednesday hatte nicht besonders Lust, überhaupt über
irgendetwas zu meditieren. Verstohlen blickte sie sich um und
musterte ihre Umgebung. Die Botschafterin hat eine seltsame
Figur… Eigentlich ist sie nicht dick, aber sie hat viele Polster
um die Taille herum. Und was sollen all diese Kisten rund ums
Podium… Und der Mann da hinten und diese Frau im dunklen
Kostüm, mit der Arbeitsbrille… Irgendetwas ist hier faul. Es roch derart faul, dass sich Wednesday an ein Spiel erinnert
fühlte, das Hermann ihr vor Jahren beigebracht hatte: Todeszone. Bei diesem Spiel ging es darum, rechtzeitig einen
Hinterhalt zu entdecken. Das hier ähnelt einer Falle. Aber
wer…
Als es geschah, hatte sich Wednesday gerade wieder umgedreht, um
die Augen der Botschafterin zu beobachten. Diese Augen weiteten sich
leicht, als sich jemand ein paar Reihen hinter Wednesday nervös
räusperte. Gleich darauf bewegte sich die Botschafterin so
abrupt, als wäre sie eine gerade erst eingeschaltete Maschine;
sie streckte die Arme hoch, um ihr Gesicht zu schützen, tauchte
nach unten ab. Und dann…
Warum liege ich hier unten?, fragte sich Wednesday
verwirrt. Warum? Sie konnte sehen, aber ringsum war alles
verschwommen, und die Ohren taten ihr weh. Mir ist übel. Als sie stöhnend nach Luft rang, merkte sie, dass es
penetrant nach Verbranntem stank. Plötzlich wurde ihr bewusst,
dass ihre rechte Hand nass und klebrig war und sie auf etwas lag, das
ihr wie ein Knochen vorkam. Feuchtigkeit. Sie versuchte sich
mit der linken Hand aufzustützen. Die Luft war voller Staub, die
Beleuchtung ausgefallen, und wie aus der Ferne konnte sie – nur
schwach, weil es in ihren Ohren summte – Schreie hören.
Ein Licht flackerte auf. Einen Augenblick später sah sie
klarer. Die Frau auf dem Podium war verschwunden. Die Kisten links
und rechts davon waren wie Luftkissen explodiert und hatten sich wie
Schutzschilde vor die Botschafterin gelegt, als sie zu Boden gegangen
war. Aber hinter ihr, weiter hinten… Wednesday setzte sich auf,
musterte den Fußboden und merkte, dass jemand schrie. Da war
auch Blut auf ihrem Handrücken, auf ihrem Ärmel und auf den
Stühlen. Eine Bombe, dachte sie benommen. Und gleich
darauf: Ich muss etwas unternehmen. Immer noch hörte sie
Menschen schreien. Mitten auf dem nächsten Gang lagen eine Hand
und ein Arm. Der Ellbogen war eine grässliche rote Masse. Neben
sich entdeckte sie Frank auf dem Fußboden. Sein Hinterkopf sah
aus, als wäre er mit roter Farbe beschmiert. Er bewegte sich und
schwenkte einen Arm über den Boden. Schockreflex. Die
Frau, die hinter ihm gesessen hatte, saß dort immer noch, nur
endete ihr Kopf irgendwo zwischen Hals und Nase in einem blutigen
Stumpf. Eine Bombe, dachte Wednesday zusammenhanglos,
versuchte aber, diesen Gedanken festzuhalten, was nicht leicht war,
weil ihr gleichzeitig so vieles andere durch den Kopf schoss. Hermann hat mich gewarnt. Frank!
Voller Panik beugte sie sich über ihn. »Frank! Rede mit
mir!« Als er den Mund aufmachte und etwas zu sagen versuchte,
zuckte sie zusammen, konnte aber nichts verstehen. Stirbt er?, fragte sie sich voller Angst und Verzweiflung. »Frank!«
Ein irres Kichern machte sich Luft, als sie sich an den
Erste-Hilfe-Kurs zu erinnern versuchte, den sie vor Jahren mitgemacht
hatte. Atmet er? Ja. Blutet er? Schwer zu sagen. Überall
war so viel Blut, dass sie nicht erkennen konnte, ob es seines
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