Supernova
ringsum
vorgenommen, sind ja fast in Sichtweite. Hunde, Drohnen, jede Menge
Überwachungsinstrumente. Schätze, ich hab Recht gehabt: Das
riecht nach Panik und hoher Alarmstufe.«
»Oh.« Sie lehnte sich näher an ihn, während
sie sich umsah. Hinter einem Flügel der Botschaft war eine
große Markise gespannt, die wie ein Festzelt wirkte. In den
Bäumen hingen Lichterketten. Eine Hand voll Erwachsener
schlenderte dort mit Sektgläsern herum. Ein oder zwei waren
sorgfältig herausgeputzt, aber die meisten trugen nur
Bürokleidung. »Sind wir in Gefahr?« Nach dem, was
Hermann gesagt hat…
»Glaub ich eigentlich nicht, zumindest hoffe ich, dass es
nicht so ist.«
Im Festzelt, in dem Tische aufgebaut waren, war alles für die
Gäste vorbereitet: Hier gab es Kellnerinnen und Kellner, die
aufmerksam bedienten, Weinflaschen, Bataillone von Gläsern, die
nur darauf warteten, gefüllt zu werden, Platten mit Kanapees,
belegte Brötchen und andere kleine Happen. Ein Grüppchen
gelangweilt wirkender Besucher hielt sich an den obligatorischen
Weingläsern und Plastiktellern fest, ein oder zwei umklammerten
traurig wirkende Fähnchen. Als es Wednesday auffiel, musste sie
den Blick abwenden, weil sie nicht wusste, ob sie darüber lachen
oder weinen sollte. Aus Patriotismus hatten sich die Moskowiter nie
viel gemacht. Als Wednesday jetzt sah, wie die dicke Frau in den
roten Hosen das Fähnchen so fest umklammerte, als wäre es
ein Rettungsseil, hätte sie ihr am liebsten eine Ohrfeige
gegeben und gebrüllt: Wach endlich auf, es ist doch alles
vorbei! Andererseits empfand sie dasselbe wie damals, als sie
ihrem dreijährigen Bruder Jerm dabei zugesehen hatte, wie er mit
der zinnenen Urne gespielt hatte, die Großvaters Asche
enthielt. Die Toten wurden missbraucht, das war eine alte Krankheit
menschlicher Geschichte. Und jetzt war er selbst tot, ihr Bruder
Jerm. Sie wandte den Blick ab, schnupfte und versuchte wieder klare
Augen zu bekommen. Sie hatte ihren kleinen Bruder nie sehr gemocht,
aber es war kein gutes Gefühl, ihn nicht mehr in der Nähe
zu haben und sich nicht mehr über ihn ärgern zu
können.
Ein Mann und eine Frau in nüchterner Bürokleidung –
sie hätten gut in eine Anwaltskanzlei gepasst – widmeten
sich unaufdringlich den Gästen und begrüßten einen
nach dem anderen. Schneller als gedacht war Wednesday an der Reihe.
»Hallo, ich freue mich, dass Sie kommen konnten.« Die Frau
sah Wednesday mit routiniertem Lächeln an, das fast so fixiert
wirkte wie ihre Frisur. »Ich bin Mary-Louise. Ich glaube, ich
hatte noch nicht das Vergnügen, Sie kennen zu lernen?«
»Hi, ich bin Wednesday.« Sie zwang sich zu einem
müden Lächeln. Da sie vorhin geweint hatte, war die Haut
rund um ihre Augen ausgetrocknet. »Eigentlich bin ich nur auf
der Durchreise, an Bord der Romanow. Veranstalten Sie so etwas
regelmäßig?«
»Wir laden jedes Jahr dazu ein, damit der Jahrestag in
Erinnerung bleibt. Darf ich fragen, ob so etwas auch dort
stattfindet, wo Sie leben?«
»Ich glaube nicht, dass es dort so etwas gibt.«
Wednesday wusste es nicht genau. »Auf Centris Magna, meine ich,
im Septagon. Dort sind ziemlich viele von uns von Alt-Neufundland aus
hingezogen.«
»Raumstation 11! Stammen Sie von dort?«
»Ja.«
»Wie schön! Dort hat eine Cousine von mir gewohnt.
– Hören Sie, das hier ist Staatssekretär Hasek, der
gemeinsam mit uns einen Abend mit vielen kulturellen Darbietungen
genießen will. Wir haben ein Büffet mit Speisen und
Getränken vorbereitet, eine Medienpräsentation,
außerdem wird Rhona Geiss für uns singen – aber jetzt
muss ich weiter und die anderen Gäste begrüßen.
Bedienen Sie sich mit allem, worauf Sie Lust haben. Und falls Sie
sonst noch etwas brauchen, wird sich Mr. Tranh dort drüben darum
kümmern.« Sie verschwand mit wehenden Ärmeln und
fliegenden Rockschößen und ließ Wednesday leicht
verwirrt zurück. In diesem Moment schlurfte ein alter Mann, so
massig wie ein Braunbär, langsam ins Festzelt, flankiert von
zwei strahlenden, herausgeputzten Frauen. Eine von ihnen erinnerte
Wednesday so sehr an Steffi, die freundliche Schiffsoffizierin, dass
sie ungläubig zwinkerte. Sie hätte sie wirklich gern
begrüßt, aber als sie wieder hinsah, war der Augenblick
schon vorbei, und Wednesday war sich nicht mehr so sicher. Eine Schar
von Teenagern machte dem Dreiergespann widerstrebend Platz, das
vorbei an mehreren Kellnern, die einen Tisch deckten, nach vorn
strebte.
Wednesday ließ sich ein
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