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Supernova

Supernova

Titel: Supernova Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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Nächte durchgemacht, dachte sie ohne viel
Mitleid. Sie griff nach seiner Hand und zog ihn hoch. »Kommen
Sie.«
    Frank rappelte sich leicht schwankend hoch, kam aber wieder ins
Gleichgewicht, klappte die Tastatur zusammen und verstaute sie in
einer Tasche. Er gähnte schon wieder. »Schaffen wir’s
noch rechtzeitig?«
    Sie kniff die Augen zusammen und sah auf die Zeitanzeige.
»Klar doch!«, sagte sie munter. »Was haben Sie denn
getrieben?«
    »Jedenfalls nicht geschlafen.« Frank schüttelte
sich. »Ich sehe grässlich aus und fühl mich auch so.
Macht’s Ihnen was aus, wenn ich mich erst einmal frisch
mache?« Es schien ihm fast peinlich zu sein.
    Sie grinste ihn an. »Das da drüben sieht wie eine
öffentliche Toilette aus.«
    »In Ordnung, zwei Minuten.«
    Zwar brauchte er fast fünfzehn Minuten, aber als er
zurückkam, hatte er geduscht und seine Kleidung einer
Schnellreinigung unterzogen. »Tut mir Leid. Sehe ich jetzt
besser aus?«
    »Sehr gut«, sagte sie diplomatisch. »Zumindest wird
man Sie so hineinlassen. Sie werden mir doch nicht
umfallen?«
    »Nein.« Ohne Wasser schluckte er eine Kapsel hinunter
und schüttelte sich leicht. »Jedenfalls nicht, bis wir
wieder auf dem Schiff sind.« Er klopfte auf die Tasche, in der
die Tastatur verstaut war. »Hab genügend Lokalkolorit
für drei Hintergrundberichte eingefangen, vier
Regierungsvertreter der mittleren Ebene und sechs Passanten
interviewt, außerdem rund vier Stunden Filmmaterial gesammelt.
Noch eine letzte Anstrengung, und dann…« Diesmal
wirkte sein Lächeln weniger bemüht.
    »Also gehen wir.« Sie griff wieder nach seiner Hand und
führte ihn die Straße entlang.
    »Wissen Sie denn, wo wir hingehen? Kennen Sie die
Empfangshalle der Botschaft?«
    »Bin noch nie dort gewesen.« Sie deutete auf den Boden.
»Aber ich hab einen Führer.«
    »Oh, gut, damit auch ja jeder weiß, wo wir
hingehen«, grummelte er. »Hoffe nur, dass die mich nicht
für einen Landstreicher halten.«
    »Für einen was! Was bedeutet das?«
    »Ein Landstreicher?« Er sah sie mit hochgezogener Braue
an. »Gibt es die dort nicht, wo Sie herkommen? Da haben Sie aber
Glück.«
    Sie sah das Wort im Lexikon nach. »Ich werde denen sagen,
dass Sie mein Gast sind.« Sie strich ihm über die Hand.
Franks Gegenwart gab ihr ein sicheres Gefühl, so als spazierte
sie mit einem riesigen, grimmigen Wachhund, der sie beschützte
– einem echten Hund, wohlgemerkt –, durch eine fremde
Stadt. Während sie sich der Botschaft näherten, hob sich
ihre Stimmung.
    Botschaften sind dazu da, ihre Nationen in fremden Ländern
öffentlich zu präsentieren. Deshalb sind es fast immer
protzige Bauten mit unnötig breiten Fassaden und auffällig
vergoldeten Fahnenmasten. Die Botschaft Moskaus machte keine
Ausnahme: Das düstere große Gebäude war aus Kalkstein
und Marmor im klassischen Stil errichtet und verbarg sich
mürrisch hinter einer Pappelreihe. Der Zaun war nur diskret
angedeutet, und der Rasen sah so aus, als sei er mit dem
Millimetermaß angelegt und mit Nagelscheren geschnitten worden.
Doch irgendetwas störte das Gesamtbild. Vielleicht lag es an der
Fahne am Eingang: Seit dem schrecklichen Tag vor fünf Jahren,
als der Kausalkanal der Diplomaten für immer verstummt war, hing
die Flagge auf Halbmast. Vielleicht war es aber auch etwas
Subtileres. Irgendwie wirkte die Botschaft heruntergekommen, als
wohnten hier vornehme Ruheständler, die den Schein nach
außen hin wahrten, obwohl sie insgeheim über ihre
Verhältnisse lebten.
    Außerdem war der Sicherheitskordon nicht zu
übersehen.
    »Ich bin We…, äh, Victoria Strowger«, sagte
Wednesday munter zu den zwei bewaffneten Polizisten, die ihren Pass
überprüften.
    »Und das hier ist Frank Johnson, mein Gast. – Ist das
nicht aufregend?« Als sie durch den Bogen eines
Sprengstoffdetektors gewinkt wurde, klatschte sie in die Hände.
»Ich kann noch gar nicht fassen, dass ich wirklich zu einer
Veranstaltung der Botschaft eingeladen bin! Wow, ist das die
Botschafterin? Nein?«
    »Sie müssen nicht ganz so dick auftragen«, bemerkte
Frank müde, als er sie eine Minute später einholte.
»Das sind keine Idioten. Wenn Sie eine solche Show an einem
echten Kontrollpunkt abzögen, säßen Sie im
Handumdrehen zum Verhör in einer Zelle.«
    »Häh?« Sie schüttelte den Kopf. »An einem
echten Kontrollpunkt? Und was ist das hier?«
    »Das dient nur dazu, allgemein darauf hinzuweisen, dass hier
Wachen postiert sind. Die echten Schutzmaßnahmen werden

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