Supernova
war.
Er hatte aufgehört, mit den Armen um sich zu schlagen, und
murmelte vor sich hin. Offenbar wollte er ihr etwas mitteilen und
versuchte sich zu bewegen. »Warte, du darfst jetzt
nicht…« Frank setzte sich auf, betastete seinen Hinterkopf,
zuckte zusammen und beäugte Wednesday wie eine alte Eule.
»Schwindelig«, sagte er noch, ehe er über ihr
zusammensackte.
Wednesday schaffte es, sich mit einem Arm abzustützen, als er
ohnmächtig auf sie niedersank. Er muss mehr als zwei Zentner
wiegen, ging es ihr unvermittelt durch den Kopf. Sie sah sich
nach Hilfe um, brachte aber keinen Ton heraus, als sie jemanden
herbeirufen wollte.
Es war keine große Bombe gewesen, kaum mehr als eine
Handgranate, aber sie war mitten im Publikum explodiert und hatte ein
halbes Dutzend Körper in blutigen Matsch verwandelt, sodass
überall Fleisch, Knochen und Blut – wie grässliche
Farbe – verspritzt waren. Ein Mann mit
blutüberströmtem Oberkörper – die Bombe hatte ihm
die halbe Kleidung vom Leib gerissen – stolperte blindlings auf
das Zentrum der Explosion zu. Die Arme hatte er vorgestreckt, als
suche er nach jemandem. Eine Frau, die vor Schmerzen brüllte,
umklammerte ihren zerfetzten Arm. Inmitten der verwaisten Stuhlreihen
saß sie immer noch auf ihrem Platz. Bei diesem Bild musste
Wednesday an einen einsamen Schneidezahn in einem Kiefer denken, der
ansonsten nur noch aus wunden Höhlen besteht, weil alle anderen
Zähne gezogen worden sind. Am Rand ihres Blickfelds nahm sie
wahr, wie Szenen wie aus einem Albtraum Wirklichkeit wurden – so
als hätten Totenschädel und blutige Knochen ihre
Gräber verlassen, um sich hier ein munteres Stelldichein zu
geben. Als sie sich über die Lippen leckte, spürte sie den
durchdringenden Geschmack von Metall. Sie wimmerte, während ihr
Magen versuchte, Wein und halb verdaute Kanapees loszuwerden.
Das Nächste, an das sie sich erinnern konnte, war, dass sich
ein schwarz gekleideter Mann über sie beugte, die Waffe auf die
Saaldecke gerichtet. Er sah sie gar nicht an, sondern sprach in
drängendem Ton mit einer vorbeischwebenden Drohne. Sie
versuchte, ihren Kopf hin und her zu bewegen, aber irgendetwas
lastete auf ihr und drohte sie zu zermalmen. »… nen Sie
gehen?«, fragte er. »… Ihr Freund?«
»Mm. Ich probier’s.« Als sie versuchte, Franks
schweren Körper von sich zu schieben, spannte er sich an und
stöhnte. »Frank…« Der Sicherheitsmann war schon
wieder verschwunden, beugte sich über einen anderen Körper,
fiel plötzlich auf die Knie und begann mit
Wiederbelebungsversuchen, indem er den Brustkasten des
Explosionsopfers heftig bearbeitete.
»Ich bin, ich bin…« Frank blinzelte schläfrig.
»Wednesday?«
Setz dich auf, dachte sie benommen. »Bist du
unversehrt?«
»Glaub schon…« Er zögerte. »Mein
Kopf.« Es kam ihr wie ein Wunder vor, als sich das Gewicht
schließlich von ihrer Schulter hob. »Bist du
verletzt?«, fragte er sie.
»Ich…« Jetzt lehnte sie sich ihrerseits an ihn.
»Nicht schlimm, glaube ich.«
»Können nicht hier bleiben«, murmelte er schwach.
»Die Bombe. Ehe sie hochging. Hab dich gesehen, Sven.«
»Wen hast du gesehen?«
»Jim. Den Clown.« Frank sah so aus, als werde er gleich
wieder das Bewusstsein verlieren. Wednesday beugte sich zu ihm
hinüber. »Sven war hier. Trug Kleidung wie jemand aus der
Küche…« Seine Augenlider flatterten.
»Drück dich doch deutlicher aus! Was willst du damit sagen?«, zischte sie. Sie wusste selbst nicht, warum sie
es so wichtig fand, seine Worte zu begreifen. »Was meinst du
damit?«
»Svengali. Vom Schiff. Der Unterhaltungskünstler.«
Er schlug die Augen auf. »Müssen Sven finden.«
»Willst du damit sagen, dass du gesehen hast, wie
er…« Der Schock machte Wednesday sofort hellwach.
»Ja. Ja. Such ihn. Er ist…« Franks Augen schlossen
sich.
Wednesday winkte einer Frau vom Sicherheitsdienst zu, die gerade
vorbeikam. »Hier!« Ein Kopf wandte sich ihr zu. »Mein
Freund hat eine Gehirnerschütterung. Können Sie ihm
helfen?«
»O Scheiße, noch einer…« Die Frau winkte
einen Kollegen herbei. »Sanitäter!«
Wednesday rutschte zu Frank hinüber. Sie fühlte sich hin
und her gerissen: Einerseits wollte sie unbedingt sicherstellen, dass
er gut versorgt wurde und bald wieder auf die Beine kam, andererseits
wusste sie, dass sie den Clown finden musste. Frank allein zu lassen,
gab ihr ein schlechtes Gefühl – so als verlöre sie
damit ihren einzigen Halt. Noch vor einer Stunde hatte
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