Supernova
»Als ich zehn
Jahre alt war, hatte ich einen unsichtbaren Freund«, begann sie.
»Erst nachdem meine Heimatwelt vernichtet wurde, habe ich
gemerkt, dass er für das Eschaton arbeitet…«
Als Rachel die Tür zu dem engen Büro öffnete, das
an den Planungsraum für Führungsoffiziere angrenzte,
blickte Martin auf. Sein Gesicht war von tiefen Falten gezeichnet und
sah müde aus. »Geht’s dir gut?«, fragte er.
»Besser denn je.« Rachel verzog das Gesicht und
gähnte. »Verdammt, ich brauche was zum Aufwachen.« Sie
sah zum Tisch hinüber und musterte die jugendlich wirkende
Offizierin, die Martin gegenübersaß. »Machst du uns
miteinander bekannt?«
»Ja. Das hier ist Flughauptmann Stephanie Grace, noch in der
Ausbildung. Sie ist gerade vom Landurlaub zurückgekehrt.
Während sie unterwegs war, habe ich mit ihrem Vorgesetzten,
Flugoffizier Max Fromm, weitergearbeitet. Ähm, Steffi? Das ist
meine Frau, Rachel Mansour. Rachel ist als Kulturattaché
mit…«
»Stell mich besser nicht in dieser Funktion vor.«
Sie lächelte freudlos und hielt eine Vollmacht hoch. Der Ausweis
zeigte ihren Kopf, umgeben von den drei Ws des Logos der Vereinten
Nationen, vor dem Hintergrund von Sternen. »Geheimdienst. Ich
bin Oberst Mansour, Gemeinsame Abwehr der Vereinten Nationen, vom
Ständigen Ausschuss für Interstellare Abrüstung mit
einem Sonderauftrag betraut. Den Dienstgrad mache ich nur dort
geltend, wo es angemessen ist, wissen Sie. Es wäre mir lieber,
wenn die Passagiere und Besatzungsmitglieder, die nicht zum
Führungsstab gehören, vorerst nichts von meiner Anwesenheit
erfahren. Verstehen wir uns?«
Das Mädchen – nein, wahrscheinlich war die junge Frau
schon weit über zwanzig, gut möglich, dass sie schon die
zweite oder dritte Ausbildung absolvierte – wirkte beunruhigt.
»Darf ich fragen, was hier Ihrer Meinung nach vor sich geht?
Denn wenn es sich um irgendetwas handelt, das dieses Schiff
gefährden könnte, muss es der Kapitän sofort
erfahren.«
»Hm.« Rachel schwieg kurz. »Bis vor sechs Stunden
bin ich davon ausgegangen, dass wir nach einem Verbrecher suchen,
nach einem Serienmörder, der sich an Bord Ihres Schiffes
befindet, herumreist und sich in jedem Anlaufhafen ein neues Opfer
sucht.«
Stephanie Grace, die bei diesen Worten zusammengezuckt war,
erwiderte Rachels Blick. »Ich glaube kaum, dass so etwas
normalerweise eine geheimdienstliche Ermittlung auslöst, oder,
Oberst?«
»Ein solcher Fall tritt ein, wenn sämtliche Opfer
Botschafter einer planetaren Exilregierung sind, die R-Bomben auf
einen anderen Planeten ausgerichtet hat«, erwiderte Rachel
leise. »Aber das behalten Sie für sich, Flughauptmann.
Unser Serienmörder versucht einen Krieg heraufzubeschwören,
indem er dafür sorgt, dass Massenvernichtungswaffen losgelassen
werden. Ihren Kapitän werde ich persönlich davon
unterrichten, aber wenn ich durch andere Kanäle erfahre, dass
Sie kein Stillschweigen bewahrt haben…«
»Verstehe«, erwiderte Steffi voller Sorge. »Okay,
deshalb also hat Ihr Mann«, sie sah flüchtig zu Martin
hinüber, »die Transitunterlagen der letzten sechs Monate
sichten wollen. Doch Sie haben angedeutet, dass es noch um mehr
geht.«
»Ja.« Rachel sah ihr in die Augen. »Es hat mit dem
Motiv zu tun. Ich glaube nicht, dass dieser Serienmörder auf
eigene Faust handelt. Vielmehr nehme ich an, dass wir es mit einem
Berufskiller oder einer Gruppe von Berufskillern zu tun haben, die im
Auftrag einer interstellaren Macht handeln. Und sie sind darauf aus,
ihre Spuren zu verwischen. Da sie jetzt wissen, dass wir ihnen auf
den Fersen sind, könnten sie alles Mögliche unternehmen.
Ich hoffe, sie tun nichts, was dieses Schiff gefährdet, aber das
kann ich nicht mit Sicherheit sagen.« Sie zuckte mit den
Achseln, ihr war selbst nicht wohl bei dem Gedanken.
Steffi wirkte jetzt regelrecht schockiert. »Dann muss ich
darauf bestehen, dass Sie sofort den Kapitän informieren. Falls
auch nur der entfernteste Verdacht besteht, dass der, äh,
Mörder das Schiff auf irgendeine Weise bedroht, muss unser
Kapitän als oberster Befehlshaber die Verantwortung
übernehmen. Und bis jetzt«, sie deutete auf die offenen
Fenster und Schlüsseldiagramme auf dem Bildschirm, der
Tischgröße hatte, »sind wir noch nicht weit gekommen.
Wir haben etwa zweieinhalbtausend Passagiere und siebenhundert
Besatzungsmitglieder an Bord. Jedes Mal, wenn wir einen Hafen
anlaufen, löst das mehr als dreitausend Veränderungen auf
Passagier- und
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