Supernova
gab sich innerlich einen Fußtritt, weil sie diese
Situation nicht vorhergesehen hatte. Gleich darauf meldete sich ihr
Implantat. Den Schreck unterdrückend, blinzelte sie hastig, bis
die Projektion in ihr Sichtfeld rückte. Eine neue Mail,
ausgerechnet hier? Wie…
Während sie die Nachricht schnell durchlas, hatte sie kaum
noch Augen für ihre Umgebung – den flauschigen Teppich, die
verdorrten braunen Bäume in den Kübeln links und rechts des
großen Holzschreibtisches, die Tür, die ins innere
Büro führte. Gleich darauf traf eine weitere Mail ein,
diesmal eine Antwort von Martin. Sie sah ihn scharf an und drehte
sich danach zu dem Bewaffneten um, der am Zimmereingang an der Wand
lehnte. »Wer ist Ihre Chefin?«, fragte sie.
»Müssen wir lange auf sie warten?«
»Sie warten, bis sie hier ist.« Das Gebläse im
Büro klapperte leicht, während es lauwarme Luft in den Raum
pumpte, die die eisige Kälte ein wenig milderte. Der
Schreibtisch, die Besucherstühle und ein leerer
Wasserkühler waren mit einer dünnen Staubschicht
überzogen.
»Darf ich mich setzen?«, fragte Martin.
»Nur zu.« Der Bewaffnete zog ironisch eine Augenbraue
hoch. Martin nahm schnell Platz, ehe der Wachmann es sich anders
überlegen konnte. Als Rachel an seine Seite trat und sich vor
ihn stellte, legte er schützend einen Arm um ihre Taille, knapp
unterhalb ihres Jackensaums.
»Können Sie uns Näheres sagen?«, fragte Rachel
leise, während Martin etwas unter ihren Taillenbund gleiten
ließ. »Zum Beispiel, um was es hier überhaupt
geht?«
»Nein.«
»Also gut.« Rachel seufzte. »Wenn Sie’s so
haben wollen.« Sie nahm auf dem Stuhl rechts von Martin Platz,
lehnte sich gegen ihn und legte den linken Arm hinter seine Schulter. Also sind sie noch nicht so weit, die Aufzeichnungen der Station
über ein- und ausgehende Nachrichten zu kontrollieren, dachte sie und hielt sich an diesem Strohhalm fest. Sonst
hätte diese Mail von Wednesday sie sofort in Marsch gesetzt. Sie ließ den Arm hinter Martins Rücken fallen,
verdrehte das Handgelenk und fummelte so lange mit dem Gegenstand in
ihrem Bund herum, bis er nach oben, in ihren Ärmel, gerutscht
war, wo er sich mit seinem Gegenstück verbinden konnte.
Klick. Sie spürte das Geräusch mehr, als dass sie
es hörte. Als das winzige Objekt Kontakt mit ihren Implantaten
aufnahm, tauchte ein Countdown-Zähler in ihrem Blickfeld auf. Er
zeigte die Sekunden an, die die mit Gel ummantelte Brennstoffzelle
brauchen würde, um sich zu laden; erst danach würde die
Endmontage erfolgen. Selten in ihrem Leben hatte sich Rachel derart
nackt gefühlt. Falls die Übermenschen die alles
durchdringende Radarüberwachung auch auf diesen Raum ausgedehnt
hatten, würden bestimmt gleich sieben verschiedene Alarmsirenen
losschrillen. Und dann würde ihr der Revolverheld eine Kugel in
den Kopf jagen, bevor die winzige Apparatur überhaupt
betriebsbereit war. Falls nicht…
Ein Knarren und Ächzen vom Gang her meldete die Ankunft eines
weiteren Fahrstuhls. Ein paar Sekunden später tauchte Mathilde
auf, die diesmal Frank im Schlepptau hatte. Frank war in schlechter
Verfassung. Seine Haut war aschfahl, die Hände hatte man ihm auf
dem Bauch zusammengebunden. Mit einem Blick, der nichts preisgab, sah
er sich im Zimmer um. Er trug immer noch dieselben Klamotten wie bei
dem Gespräch mit Martin, nur sahen sie inzwischen sehr
mitgenommen aus. »Setzen Sie sich«, wies ihn Mathilde an,
deutete auf den Stuhl neben Rachel und holte ein Kartonmesser hervor.
»Strecken Sie die Hände vor. Wir haben das Mädchen.
Wenn Sie uns Ärger machen, werden Sie es nie wieder
sehen.«
Frank räusperte sich. »Verstehe«, grunzte er, rieb
sich die Handgelenke und bedachte sie mit einem finsteren, zornigen
Blick. »Und was jetzt?«
»Sie warten hier.« Mathilde trat einen Schritt
zurück und stellte sich neben den Bewaffneten.
»Sie wollen wohl all Ihre Schussziele schön in einer
Reihe aufbauen, wie?«
Sie warf Martin einen sehr hässlichen Blick zu. »Warten
Sie auf die Chefin. Sie wird gleich hier sein.«
»Sie sind Frank, nicht wahr? Was ist passiert?«,
flüsterte Rachel ihm zu.
Frank grunzte und rieb sich erneut die Handgelenke. »Die
haben mich früh geschnappt. In meiner Kabine. Sie sind seine
Partnerin?« Er deutete mit dem Kinn auf Martin. »Dachte
anfangs, die hätten nur mich erwischt. Wo sind wir
hier?«
»Auf Alt-Neufundland, Wednesdays Raumstation. Hören Sie,
wir haben sie versteckt, aber diese Leute…
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