Supernova
Außenwelt
abgeschnitten war. Er konnte es kaum fassen: Er war in der Lage,
Mails zu verschicken. Oder seine unbearbeiteten Aufzeichnungen direkt
an Eric, auf die Heimatwelt, weiterzuleiten, damit er das Material
nach ihrem Tod so gut wie möglich ausschlachten konnte. Wir
zahlen’s euch heim, ihr Arschlöcher!, dachte er
triumphierend. Während er die Hände faltete –
schließlich war es hier kalt –, bekam niemand mit, wie er
an seinen Ringen drehte und die Direktverbindung zu seiner Mailbox
auf der Erde herstellte. Ich bin eine Kamera!
Steffi sah sich den grobkörnigen Schwarzweißfilm an,
auf dem Svengalis Hinrichtung aufgezeichnet war. Sie hatte ihn in dem
labyrinthischen Wirrwarr von Dokumenten des Überwachungssystems
aufgestöbert, die der Speicher des Schiffs jetzt abspulte.
Derweil summten ringsum die Betriebssysteme der Kommandobrücke
und versetzten das Software-Abbild des Schiffs wieder in den Zustand
zurück, den es vor dem Eingriff der Übermenschen gehabt
hatte.
Als die Kunden, die ein doppeltes Spiel trieben, anfingen Amok zu
laufen, hatte sie ihre Reaktion für Wut gehalten. Sie hatte sich
auch für wütend gehalten, als sie Stunde um Stunde in dem
dunklen Verschlag gekauert und dabei auf die leisen Schritte der
Wächter vor der Tür gelauscht hatte. Aber diese Wut war gar
nichts im Vergleich zu ihrem jetzigen Gemütszustand. Nicht
einmal der Ausdruck fuchsteufelswild traf das, was sie
empfand.
Sie hatte fast zehn Jahre mit Sven zusammengearbeitet. In
vielerlei Hinsicht hatten sie sich näher gestanden als ein
Ehepaar. Sie selbst hatte mit ihrem hübschen Gesicht für
die Fassade gesorgt und offen agiert, während er im Hintergrund
die Drähte gezogen, das Getriebe geschmiert und an den
Verträgen gebastelt hatte. Er hatte sie gefunden, als sie noch
ein jugendlicher Punk gewesen war, dessen Weg vorgezeichnet schien:
Entweder würde sie in einer Jugendstrafanstalt landen oder
irgendwann eine Reise ohne Wiederkehr zu den Kolonien der Verbannten
antreten. Sven hatte sich durch den Rost und Schmutz ihrer
äußeren Hülle nicht täuschen lassen, sondern das
harte Metall darunter erkannt und es so lange poliert, bis es
strahlend glänzte. In den frühen Jahren hatte sie ihn
bewundert, bis sie die Reife erlangt hatte, ihn so zu sehen, wie er
wirklich war. Bis auf ein frühes Herumexperimentieren hatten sie
keine sexuelle Beziehung miteinander gehabt. Ihre Partnerschaft
basierte darauf, dass sie einander brauchten und respektierten. Und
auf dem Blut an ihren Händen. Und ausgerechnet jetzt, wo sie
ihren größten Coup hatten landen wollen…
»Ich werde dich finden. Und dann wirst du dir wünschen,
du hättest dich zuvor selbst umgebracht«, teilte sie dem
auf dem Bildschirm erstarrten Gesicht mit. »Und
dann…«, ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, »werde
ich…« Ja, was soll ich dann tun?
Steffi lehnte sich auf dem Stuhl zurück, schloss die Augen
und zwang den geballten, wilden Zorn in die hinteren Gefilde ihres
Kopfes zurück. Sie wollte ihn aus dem Weg haben, bis sie ihn
brauchte. Wie stehe ich jetzt da? Sie hatte den Schlüssel
zu den gemeinsamen Bankkonten, falls sie Geld benötigen sollte.
Und sie besaß auch noch einige andere Schlüssel, die sie
hier und da an sich gebracht hatte. Sie war in einem Büro in
Turku gewesen, an einem Rastplatz an irgendeiner Straße auf der
Eiger-Welt und auch in einem Haus auf der Erde, alles in den letzten
sechs Monaten. Sven hatte seine Hausaufgaben gemacht, ehe er den Job
übernommen hatte, ihr die schockierenden Folgen erläutert,
sollte ihre Arbeit von Erfolg gekrönt sein, und betont, wie
wichtig es war, die Schlüssel zu finden. Es hatte keinen Zweck
gehabt, auf der Eiger-Welt am Straßenrand herumzuwühlen,
aber zwei der Schlüssel hatte sie jetzt in der Tasche,
Schlüssel, die die Pforten zur Hölle öffnen konnten.
Das musste doch irgendetwas wert sein, oder nicht? Und wenn die
dämlichen UN-Diplomaten nicht wussten, wer sie in Wirklichkeit
war, musste sie sich nur noch um die Übermenschen
kümmern.
Wenn ich es schaffe, sie von der Bildfläche zu fegen, kann
ich tatsächlich in die Rolle der Flugoffizierin Steffi Grace
schlüpfen, und jeder wird mir das abnehmen, wurde ihr klar. Oder ich kann versuchen, auch noch den dritten Schlüssel an
mich zu bringen und Zugang zu einem diplomatischen Kanal Moskaus zu
erhalten. Als sie zu lächeln begann, wichen ihre Lippen so
weit zurück, dass es wie das Zähnefletschen eines wilden
Tieres wirkte.
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