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Supernova

Supernova

Titel: Supernova Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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spärlich hier Fußgänger
verkehrten oder wie viele der Leuchtröhren im Gang eingeschlagen
waren. Jetzt war sie allein und niemand sonst in Sicht.
    Hier gab es nur den Schutt unter ihren Füßen, eine
zerfetzte Dachverkleidung und einen Stapel verstaubter Gas- und
Wasserschläuche; die Türen fehlten, sodass die
Hohlräume wie faule Zähne in den Wänden gähnten.
Dieser ganze Sektor wirkte nicht sicher, wirkte undicht.
    Erst jetzt kam ihr in den Sinn, näher über die Situation
nachzudenken. »Warum gerade Johnny?«, fragte sie sich im
Stillen. »Johnny?« Klein gewachsen, pickelig, ohne jeden
Sinn für Mode, hätte er normalerweise den Klassenclown
abgegeben. Aber selbst dazu war er nicht schlau genug, und so war er
einfach nur ein Opfer. Und er hatte ihr die Einladung ohne jeden
offensichtlichen Hintergedanken übermittelt, hatte nichts davon
gestammelt, sich für eine Stunde an einem heimlichen Ort zu
treffen, war einfach nur nervös gewesen und hatte die ganze Zeit
über seine Schulter gestarrt. Ich könnte ihn ja anrufen
und nachfragen, aber dann würde ich wie ein Idiot dastehen. Wie
ein Schwächling. Aber… wenn ich ihn nicht anrufe, bin ich
tatsächlich ein Idiot.
    »Verbinde mich mit Johnny dem Schwitzer«, befahl sie
lautlos. Ich verbinde… kein Signal. Sie zwinkerte
ungläubig. Bestimmt gab es hier unten doch Bandbreite? Die war
schließlich wichtiger als die Luft zum Atmen. Wenn man
über Verbindungen nach außen verfügte, konnte man den
Rettungsdienst benachrichtigen, sich Sauerstoff besorgen oder aus
schwierigen Situationen wieder herauskommen. Ohne Verbindung konnte alles passieren.
    Es kursierten Gerüchte über diese verlassenen Sektoren
des Habitats. Gerüchte über zerstückelte Leichen, die
angeblich in den Kabelschächten verborgen waren, über
Überwachungskameras, die wegsahen, wenn man das geheime
Zeichen kannte, das ihre Programmierung austrickste, über
einladend leere Häuser, in denen es Zimmer gab, die nur eine
Türklinke vom absoluten Vakuum trennte. Allerdings hatte sie
noch nie Gerüchte gehört, die besagten, dass hier ganze
Abschnitte ohne jede Verbindung zur Außenwelt waren – was
bedeutete, dass man niemanden anrufen, mit keiner Stelle oder dem
eigenen Computer Verbindung aufnehmen konnte. Abschnitte, vor denen
selbst Wartungsroboter zurückscheuten und in die sie nicht
hineinkriechen wollten. Das war mehr als ein heruntergekommener
Sektor: Dieser Bereich war unmittelbar lebensbedrohlich.
    Sie durchquerte einen weiträumigen Korridor mit niedriger
Decke. Nach dem seitlichen Geländer und der nüchternen
Bauweise zu urteilen, war er früher einmal, als hier noch
Menschen gearbeitet und gewohnt hatten, als Versorgungstunnel genutzt
worden. Dort, wo sich einst Türen befunden hatten, gähnten
rechts und links leere Höhlen; vor manchen lag Schutt aus
zermahlenem, nicht mehr haftendem Aerogel, Regolith-Steinen und
verzerrten Türrahmen. Die Lampen funktionierten nicht mehr, bis
auf eine Leuchtröhre in der Mitte der Decke, die hin und wieder
aufflackerte. Die Luft war abgestanden und roch so modrig, als dringe
nur selten ein Luftzug herein. Zum ersten Mal war Wednesday froh
über ihren Überlebenssensor, der losheulen würde,
sollte sie in Gefahr geraten, in eine Giftgasfalle zu tappen.
    »Das kann nicht richtig sein«, murmelte sie vor sich
hin. Sie drehte ihren Ring so, dass er eine Übersichtskarte
über die öffentlich zugänglichen Bereiche der Siedlung
zeigte, und wählte per Zoom einen Ausschnitt, der diesen Winkel
in Vergrößerung wiedergab. (Auch die Ringe stießen
sie auf die Unterschiede zwischen ihrem alten und neuen Zuhause: Auf
Moskau hätte sie eine unhandliche digitale Box als
persönlichen Assistenten benutzt, nicht diese aufeinander
abgestimmten Schmuckstücke, die ihre Hände mittels feiner
Implantate mit ihrem Nervensystem verbanden.)
    Dieser ganze Abschnitt war das Letzte vom Letzten, verfluchtes,
verbotenes Gebiet. Irgendwo entlang des Wegs war sie durch einen
Eingang getappt, der auf der Karte nur als nackte Wand eingezeichnet
war. »So ein Ärger.« Sie projizierte Johnnys
Wegbeschreibung über die Karte: Der Schauplatz der Party lag
rund hundert Meter außerhalb der Schutzmauer des
Druckzylinders. »Scheiße«, sagte sie, diesmal mit
Gefühl. Irgendjemand musste Johnny dazu angestiftet haben, sie
an der Nase herumzuführen – oder hatte ihn, viel subtiler,
als Mittelsmann für sein Täuschungsmanöver benutzt,
indem er seinen Ring angezapft hatte. Vor

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