Supernova
Knöchel riskierte – brachten sie zur
Druckausgleichschleuse. Mit pochendem Puls drückte sie den
Daumen auf den Öffner und schob die Schleuse mit der Kraft der
eigenen Hände auf. Gleich darauf tauchte sie in die
öffentliche Passage mit dem verblassten grünen Teppichboden
und den türkisfarbenen Wänden ein.
Der Gang war nur schwach beleuchtet, da die Hauptlampen auf
Zwielicht geschaltet waren. Abgesehen von ein paar kleinen
Wartungsrobotern hatte sie die ganze Passage für sich. Die
trübe Stimmung aus Frustration und Zorn legte sich wie ein
dunkler Umhang um sie, während sie weiterging. Die meisten
Türen rechts und links waren versiegelt, da sie zu leer
stehenden Wohnungen führten, in denen zeitweilig Unterdruck
herrschte. Dieses Untergeschoss bot billige Wohnungen, aber nur arme
Flüchtlinge nahmen notgedrungen damit vorlieb. Das hier war eine
Sackgasse, die nirgendwo hinführte – genauso wenig wie ihre
eigenen Perspektiven. Perspektiven – welche Perspektiven?
Ihre Familie, die einst zur Mittelschicht gezählt und angenehm
gelebt hatte, war auf den Status armseliger Immigranten abgesunken,
denen es an Möglichkeiten mangelte. Wegen allem und jedem sah
man auf sie herab, angefangen von ihrer ländlichen Herkunft bis
zu solchen Dingen wie Wednesdays und Jeremys Implantaten. Die hatten
Morris und Indica zu Hause auf Alt-Neufundland ein halbes
Jahreseinkommen gekostet, und hier galten sie als veralteter
Schrott, über den man sich lustig machen konnte.
»Verdammter Sozialausschuss«, murmelte sie vor sich hin.
»Verdammte Gedankenpolizei.«
In mancher Hinsicht hatte Centris Magna auch gute Seiten: Sie
hatten eine viel größere Wohnung als zu Hause, und es ging
hier recht viel ab; außerdem gab es viele Leute in ihrem Alter.
Aber Centris Magna hatte auch schlechte Seiten. Hätte sie jemand
danach gefragt, wäre Wednesdays Antwort gewesen, dass die
schlechten Seiten die guten bei weitem überwogen. Nicht, dass
jemand sie wirklich gefragt hätte, ob sie sich diesem bizarren
kulturellen Ritual namens Schule unterwerfen wolle. Die
Hälfte der Stunden, die sie im Wachzustand verbrachte, war sie
dort mit Schwachsinnigen, sadistischen Soziopathen,
Schlägertypen und greinenden Idioten zusammengepfercht. Und bis
die Schulbehörden sie ziehen lassen würden, musste sie noch
drei Jahre durchstehen. All das, obwohl sie nach dem Moskauer System
mit fünfzehn Jahren schon fast volljährig gewesen war
– nur noch zwei Jahre hatten sie davon getrennt. Aber im
Septagoner System wurde man nicht einmal aus der Oberschule
entlassen, bevor man zweiundzwanzig war.
Centris Magna, das zu diesem System gehörte, war ein lose
verbundener Sternhaufen aus braunen Zwergen, ohne bewohnbare
Planeten, der bereits vor Jahrhunderten besiedelt worden war.
Vermutlich hatte sich das Eschaton dabei in einem plumpen Scherz
versucht: Eine Gruppe, die sich Gesellschaft der Raumbesiedler nannte, hatte sich auf einem frostigen, kaum erdähnlichen
Asteroiden wiedergefunden und sich mit Recht als dessen einzige
Eigentümerin betrachten dürfen. Zur Gesellschaft hatte man
ihnen nur einen Jahresvorrat an Sauerstoff und gewisse technologische
Bauausrüstungen mitgegeben. Nach rund hundert Jahren des
Blutvergießens – so lange dauerte es, bis man auch die
letzten Freiheitsfanatiker mundtot gemacht hatte – hatten diese
kleinen Satelliten Septagons die freieste Form von Zivilisation
angestrebt, die in einer derart feindseligen Umwelt realisierbar war.
Das bedeutete intensive Schulausbildung, Verpflichtung zum
Arbeitsdienst zur Pflege und Wartung der Umwelt und null Toleranz
für jeden, der ein Einsiedlerdasein bevorzugte.
Wednesday war hier eines der wenigen Kinder, das auf einer
abgelegenen Raumstation im Umkreis eines Planten mit stabiler
Biosphäre aufgewachsen war. An Schulunterricht war sie nicht
gewöhnt, genauso wenig wie daran, atmosphärische
Störungen zu beseitigen oder sich so einzupassen, wie man es
hier von ihr erwartete. Dazu kam noch, dass die Leute von der
Schulaufsichtsbehörde sie nur kurz angesehen, als
Flüchtling aus einem fremdem und vermutlich
rückständigen System eingestuft und sofort in eine
Sonderschule für Lernbehinderte gesteckt hatten.
In ihrem ersten Schuljahr hatte sich keiner je danach erkundigt,
ob sie hier auch glücklich wäre. Glücklich, wo doch
die meisten Menschen, die sie kannte, Lichtminuten entfernt und
über ein ganzes Sonnensystem verstreut waren? Und die
Bone-Schwestern gern jede Gelegenheit
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