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Supernova

Supernova

Titel: Supernova Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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abgeschaltet hatte,
aufgefallen war, dass der Schacht aufwärts führte. Es hatte
hier so ausgesehen, als wäre das Gebäude früher einmal
ein Wohnhaus gewesen, ein Slumquartier für billige
Arbeitskräfte – so billig, dass man dieses schäbige
Gebäude nicht einmal mit Badezimmern und automatischem
Putzpersonal ausgestattet hatte. Die Wohnungen hier hatten offenbar
aus Fertigbauteilen bestanden: Also handelte es sich um mehrere
versiegelte, luftdicht gegeneinander abgeschlossene Module, die durch
druckfeste Türen miteinander verbunden waren,
zusammengeschweißt in einem großen, leeren Raum und durch
Versorgungsschächte wie diesen hier an den mit Sauerstoff und
Druckausgleich versehenen Haupttrakt angeschlossen. Dieser Schacht
musste irgendwie zu diesem Haupttrakt führen. Die Frage war nur,
ob er ihr genügend Platz bot, dorthin zu gelangen.
    Gegen die Rückwand des Schachtes gestützt, stemmte sich
Wednesday hoch. Mit den Verbindungsstücken und Gitterrosten, die
in regelmäßigen Abständen auftauchten, waren die
Rohrleitungen und Kabel fast so gut wie eine Leiter. Und ihre
Isolierung war mit den Jahren so weich und brüchig geworden,
dass Wednesdays tastende Finger in dem schwabbeligen Material Halt
fanden. Jeden halben Meter hielt sie inne, um mit einer Hand nach
oben zu tasten. Dabei bemühte sie sich, nicht an ihre Kleidung
zu denken. In diesen Stiefeln zu klettern, tat höllisch weh,
aber sie konnte sie nicht ausziehen. Und was der Schacht aus ihrer
Jacke machte…
    Plötzlich stieß ihre tastende Hand ins Leere. Als sie,
leise keuchend, nach oben griff, spürte sie, dass die Kabel hier
eine Windung vollführten und sich in die Richtung
schlängelten, in der sich früher einmal der obere Rand des
außen angebrachten Gasbehälters der Wohnung befunden haben
musste. Ein letzter anstrengender Klimmzug brachte sie hinauf und
über den Rand, sodass sie, nach Luft schnappend, mit dem
Oberkörper über dem Kabelträger hing, während
ihre Beine immer noch über drei Metern leeren Raumes baumelten.
Jetzt riskierte sie es, einen Augenblick ihren Orientierungsring
einzuschalten, der immer noch auf Taschenlampenmodus eingestellt war.
Als sie sich umsah, verspürte sie einen bösen Anflug von
Klaustrophobie. Der Raum, durch den sie kriechen musste, weitete sich
hier zu fast einem Meter Durchmesser, war aber immer noch nicht mehr
als fünfzig Zentimeter hoch. Vor ihr lag etwas Dunkles, das eine
Abzweigung in Richtung des vorderen Eingangs sein mochte, falls sie
nicht völlig die Orientierung verloren hatte. Wednesday zog die
Beine hoch und kroch darauf zu.
    Sie gelangte zu einem Punkt, an dem sich der Schacht gabelte und
mit einem anderen zusammenstieß, bei dessen Bau man die
Größe von Menschen berücksichtigt hatte. Die Decke
stieg hier auf einen Meter Abstand zum Boden an. Als sie den Ring
noch einmal kurz aufblitzen ließ, erkannte sie
Leuchtröhren (außer Betrieb und verstaubt) und einen
flachen, schuttfreien Tunnel, der ihr Platz zum Durchkriechen bot.
Sie zwängte sich hinein und krabbelte auf Händen und Knien
so schnell sie konnte hindurch.
    Nach etwa sechs Metern gelangte sie zu einem großen
Sichtfenster und hielt inne. Ich befinde mich oberhalb der
Straße, stimmt’s? Sie legte das Ohr ans Fenster,
lauschte und versuchte dabei, nicht auf ihren rasenden Puls zu
achten.
    »Hab nix gesehen.« Die Stimme drang zwar nur schwach und
blechern zu ihr hinauf, war aber eindeutig zu verstehen.
    »Aber hier isse auch nich!«, wandte der andere ein,
dessen Stimme durch Metall gedämpft wurde. »Iss weg. Harn
wa den Lockvogel mit ’nem Wandgespenst vawechselt? Sag dir, die
is nich hier.«
    »Willste dem Mann etwa sagen, dass se nich hier war? Wir
beide warten.«
    Wednesday kroch weiter vorwärts, atmete flach und zwang sich
dazu, sich nicht zu schnell zu bewegen. Auf der anderen Seite der
Straße musste sich ein weiteres Wohnungsmodul befinden,
vielleicht auch ein Punkt, an dem die Versorgungsnetze
zusammenliefen, oder ein Tunnel zur nächst höheren Ebene,
sodass sie diesen unbekannten Freaks mit ihrem bizarren Dialekt und
den beängstigenden Absichten würde entkommen können.
Immer noch war ihr vor Angst übel, aber jetzt ging diese Angst
mit glühender Wut einher. Für was halten die sich? Jagten sie wie die Hunde durch die verlassene Unterwelt der
Zylinder-Stadt. Die Jahre fielen von ihr ab: Sie empfand dieselbe,
Übelkeit erregende Angst, denselben Ekel wie damals, bei der
Verfolgungsjagd auf

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