Supernova
Rohrleitungen, stemm dich hoch…
Vor Anstrengung keuchend, stemmte sie sich so weit hoch, dass sie
vom Zimmer aus nicht mehr zu sehen war. Bitte lass sie keine
Infrarotsucher oder Hunde dabei haben! Inmanchen Nächten
wachte sie beim Gedanken an die Hunde immer noch zitternd und in
kalten Schweiß gebadet auf. Bitte lass es nur irgendwelche
Einbrecher sein. Aber bei ihrem Glück war sie bestimmt auf
zwei Perverse gestoßen, die sich einen Dreck um Gesetze
scherten, serienweise Frauen vergewaltigten und jetzt nach
Frischfleisch Ausschau hielten, an dem sie sich vergehen konnten. Und
sie hatte keine Verteidigungsimplantate. Die kosteten wirklich Geld
– Geld, das ihre Eltern nicht hatten. Zitternd versuchte sie
ihrer Panik Herr zu werden, stemmte die Ellbogen gegen die Wände
des Schachts und drehte ihre Ringe auf AUS. Sie schaltete auch ihre
Implantate ab – die zur Unterstützung des Gehirns, die
Netzhaut-Projektoren und alle übrigen, komplette Funkstille. Wenn sie hier starb, würde niemand ihren Leichnam finden,
bis die Mauern abgerissen wurden. Vielleicht strömte hier Gas
aus, das sie vergiften würde, ohne dass sie es überhaupt
bemerkte. Andererseits blieb ihr gar nichts anderes übrig, als
die Implantate abzuschalten, denn möglicherweise konnten die
Jäger aufgrund der Emissionen dieser Implantate ihre Spur
verfolgen.
»Isse hier rein? Glaub nicht.«
Schlurfende Schritte, Stimmen und – beängstigend nah
– der schwache Schein einer Taschenlampe. Eine zweite Stimme,
die fluchte: »Such ’n Boden ab. Haste unten
geguckt?«
»Klar. Sucher sacht, is verschwunden, Scheiße, hat se
verlorn. Ganzen Weg von zu Hause gab’s immer ’n starkes
Signal. ’s Opfer is wohl schlauer als gedacht.«
Das war nicht das Scheißspiel irgendeiner Mädchengang:
Sie wollten ihr auflauern, waren ihr den ganzen Weg von zu Hause aus
gefolgt. Alles andere als Einbrecher oder gewöhnliche
Schwachköpfe… Wednesday unterdrückte einen Schrei
puren, eiskalten Entsetzens.
»Ich prüf das gegenüber, du diese Seite. Wenn nix
da is, warten wa beide inner Mitte. Falls se sich vasteckt, kommt se
irgendwann raus.«
»Un schmeißen wa Stickstoff hier unten ab? Nehmen ihr
die Luft zum Atmen?«
»Wenn de das Gemisch abschmeißt, haste hinterher nur
noch faules Fleisch«, erwiderte der Zweite verächtlich.
»Unsre Auftraggeber wolln wissen, ob se’s auch wirklich
is.« Schritte klapperten über den Schutt und hielten
irgendwo an.
Die wollen mich also auf dem Gang abpassen? Wenigstens
hatten sie nicht vor, den ganzen Sektor mit Stickstoff zu fluten.
Aber schon zu hören, wie sie darüber redeten, machte ihr
Angst. Faules Fleisch. Sie wollen sich davon überzeugen, dass
sie auch wirklich die Richtige umgebracht haben, wurde ihr klar.
Bei dem Gefühl, dass sie verloren war, wurde ihr schwindelig,
und sie spürte, wie sich ihr Magen umdrehte. Wie komm ich da
nur wieder raus?
Schon die Frage half ihr. Aus irgendeiner Schublade kramte sie die
Erinnerung an eine Lektion ihres unsichtbaren Freundes heraus, die er
ihr erteilt hatte, als sie in glücklicheren Tagen auf
Alt-Neufundland durch Fahrstuhlschächte gesurft war. Wenn du
Verfolgern entkommen willst, besteht der erste Schritt darin, sie zu
identifizieren und zu lokalisieren. Dann finde nach Möglichkeit
heraus, welche Karte sie benutzen und wo sie blinde Flecken haben. Damals hatte das bedeutet, nicht die Treppen oder den Fahrstuhl
zu nehmen, sondern durch eine Versorgungsluke zu klettern, vorsichtig
auf das Dach einer Kabine zu steigen und so lange darauf auf und ab
zu gleiten, bis man in Sicherheit war. Manchmal bestand das
Übungsspiel auch darin, ganz hinauf, bis zur Raumhafenkontrolle,
zu fahren und wieder hinunter, ohne dass das Überwachungsnetz
von Alt-Neufundland einen überhaupt registrierte. Sie hatte
gelernt, unsichtbar durch Mauern zu schlüpfen, Suchmelder
auszutricksen und in einer Menschenmenge unterzutauchen.
Wehmütig dachte Wednesday an Hermanns erste Lektion: Wenn du
bedroht wirst, gerate bloß nicht in Panik. Panik ist das Erste,
das dich umbringen kann. Damals war das alles nur ein Spiel
gewesen.
Es ist immer noch ein Spiel, wurde ihr plötzlich klar. Für sie ist es ein Spiel, wer sie auch sein mögen. Aber
ich muss mich ja nicht an deren Spielregeln halten. Diese
Erkenntnis verhalf ihr zu einer Spur von neuem Selbstvertrauen. Wohin jetzt?
Im Schacht war es stockdunkel, aber sie erinnerte sich noch vage
daran, dass ihr, ehe sie ihre Implantate
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