Supernova
nutzten, um sie heimlich zu
quälen, körperlich zu quälen? Und die erste Person,
der sie sich anvertraut hatte, alles herumgetratscht hatte, als ginge
sie mit schmutziger Wäsche hausieren? Sollte sie sich wohlgemut
wie ein Schräubchen ins Getriebe einpassen, wenn sich die
anderen ständig über ihren Dialekt mokierten und
blöde, abgedroschene Witze über ihr verlorenes Zuhause
rissen? Wie sollte sie die endlosen, langweiligen Unterrichtsstunden
ertragen, deren Lektionen sie schon vor Jahren nur kurz angesehen und
dann mit einem Achselzucken abgetan hatte? Oder die noch
langweiligeren Stunden in Fächern, in denen sie gut gewesen war,
wenn sie hier Lehrer vor sich hatte, die keine blasse Ahnung davon
hatten und den Stoff häufig völlig falsch vermittelten?
Sollte sie glücklich darüber sein?
Glück bedeutete herauszufinden, dass man das
Überwachungsnetz der Schule überlisten konnte: Wenn man
einen bestimmten grünen Farbton trug, wurde dieses Grün so
von anderen Farben überlagert, dass das Netz einen nicht
registrierte, während es Leute mit schwarzer Kleidung
aufspürte. Glück bedeutete, dass man sich auf Ellis’
kleine Helfer verlassen konnte: Stets hatte er einen heimlichen
Vorrat illegal produzierter Glückspillen dabei und war bereit,
sie gegen Hilfe in Biochemie einzutauschen. Dieser Kurs für
neunzehnjährige Schüler lag im Stoff drei Jahre hinter dem
zurück, den Wednesday bereits mit fünfzehn Jahren ganz
allein bewältigt hatte. Glück bedeutete, ein paar andere
Außenseiter zu finden, die keinen Mundgeruch hatten und am
nächsten Morgen nicht mit Abenteuern herumprahlten. Glück
bedeutete zu lernen, wie man es am besten vermied, an Orten ohne
Kameraüberwachung zusammengeschlagen zu werden – von
unsichtbaren Gegnern, die, wenn man um Hilfe rief, behaupteten, es
sei alles frei erfunden und ein Akt der Selbstverstümmelung
gewesen.
Sie wagte gar nicht sich vorzustellen, wie glücklich sie sein
würde, wenn Mom oder Dad mit ihrer Umschulung endlich so weit
wären, dass sie bezahlte Arbeitsstellen annehmen könnten.
Oder wann sie es sich würden leisten können, aus diesem
Scheißloch von Slumunterkunft auszuziehen. Vielleicht
würden sie dann sogar in ein reicheres, größeres
Habitat umsiedeln. Gar nicht daran zu denken, was es heißen
würde, nicht mehr ständig diese schreckliche Perspektive
vor Augen zu haben: für mehr als zwei Drittel ihres
gegenwärtigen Lebens wie ein Baby behandelt zu werden, bis sie
dreißig war, wie die meisten Bewohner im Septagon-System. Oder
daran…
Ups, dachte sie und sah sich um. Das war nicht besonders
schlau, oder?
Seitdem Wednesday von zu Hause aufgebrochen war, hatte sie
aufgrund ihres inneren Monologs nicht auf die Umgebung geachtet. Was
normalerweise nicht viel ausmachte: Selbst in den nur spärlich
belegten subventionierten Wohnquartieren wurden die Gänge
überwacht und waren an das allgemeine Versorgungsnetz
angeschlossen. Aber sie war um zwei Ecken gebogen, hatte eine
Abkürzung durch ein nicht mehr benutztes Gemeinschaftsquartier
genommen, dessen Türen mit manuellem Öffnungsmechanismus
ausgestattet waren, und war weiter auf die Zone zugegangen, die vom
Zentrum am weitesten entfernt war, denn hier sollte die Party
stattfinden. Sammy und ihre Gang gehörten nicht zu den
Schlägertypen der Schule, sondern bestimmten das, was angesagt
und cool war. Sie sorgten dafür, dass Wednesday niemals
vergaß, wie glücklich sie sich schätzen durfte, zum
Kreis der Eingeladenen zu gehören. Auch früher schon hatten
sie ähnliche Partys veranstaltet: eine leer stehende Wohnung
besetzt – es konnte auch ein Bürotrakt oder sogar eine
Werkstatt sein –, sie ausgeschlachtet und vorübergehend mit
den nötigsten Einrichtungen ausgestattet, schwarzgebrannten
Schnaps besorgt und die Musik aufgedreht. Sich in diese Zone zu
begeben, die am weitesten vom Zentrum entfernt lag, war jedoch mit
gewissen Risiken verbunden: Das unterste Kellergeschoss barg einige
der ältesten Unterkünfte der Siedlung, die längst
geräumt waren und irgendwann in den nächsten zehn Jahren
oder so restauriert und renoviert werden sollten.
Wednesday war blindlings der abgespeicherten Wegbeschreibung
gefolgt, die Johnny de Witt ihr am Vortag aufgeregt übermittelt
hatte. An ihrem Zeigefinger funkelte ein Ring, der ihr zeigte, wohin
sie sich wenden musste. So sehr war sie in sich selbst vertieft
gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie überaus tief die
Schatten hier wurden, wie
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