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Supernova

Supernova

Titel: Supernova Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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ihrem geistigen Auge konnte
sie es regelrecht sehen: Eine Gruppe von Leuten, die zu den
angesagten Typen zählten, mokierte sich jetzt darüber, wie
sie die kleine ausländische Hexe auf Klettertour geschickt
hatten, hinunter in den dreckigen Unterleib dieser Welt. Auf einer
Seite des Ganges raschelte etwas im Schutt: Ratten oder…
    Sie sah sich hastig um. Hier unten schien es keine Kameras zu
geben, nur leere Höhlen, die in der Decke klafften. Vor ihr lag
eine dunkle Zone, die alles Licht absorbierte. Der Versorgungstunnel
mündete in eine große höhlenartige Halle, deren Decke
so hoch war, dass man sie nicht erkennen konnte. Wieder hörte
sie Geräusche: Unverkennbar Stiefel, die über Beton
schlurften.
    Was mache ich jetzt… Alte Reflexe sind zäh, aber
Wednesday machte sich im Bruchteil einer Sekunde klar, dass es keinen
Zweck haben würde, Hermann um Rat zu fragen. Sie sah sich nach
irgendeinem Versteck um. Wenn man sie verfolgte, wollte sie
abtauchen, ehe man sie aufspüren konnte. Irgendein
Verrückter? Nein, wohl eher einige der Bone-Schwestern, die sie
hierher gelockt hatten, um sie heftig zu verprügeln; vielleicht
deswegen, weil sie sich angemaßt hatte, die Farben der Gruppe,
die sie gegenüber dem schulischen Überwachungssystem
unsichtbar machten, selbst zu tragen. Und weil sie die Gruppe in
dieser Hinsicht auffliegen lassen konnte.
    Die große Höhle vor ihr sah wie ein gutes Versteck aus,
war aber dunkel, zu dunkel, um darin irgendetwas zu erkennen. Und
falls sie nirgendwohin führte, würde sie hier in der Falle
sitzen. Dagegen wirkten die Eingänge links von ihr viel
versprechend: herausgerissene Luftschleusen und dahinter jede Menge
Ruinen.
    Wednesday hastete hinüber und versuchte dabei, möglichst
leise aufzutreten. Die Tür, die ihr am nächsten war, stand
weit auf; die unter dem Estrich liegenden Schichten waren aufgerissen
und beschworen das Bild von zusammengefallenen Gedärmen herauf,
denn ein Wirrwarr von Röhren und Kabeln quoll heraus. Wednesday
trat vorsichtig darüber hinweg, blieb stehen, lehnte sich gegen
die Wand und zwang sich, für zehn Sekunden die Augen zu
schließen.
    Die Wand war völlig ausgekühlt und das Gebäude roch
so modrig, als wäre darin vor langer Zeit etwas verwest. Als sie
die Augen wieder aufmachte, konnte sie im Dunkel einen Weg ausmachen.
Ein Meter hinter der Türschwelle war der Boden wieder
verkleidet. Der Gang gabelte sich hier. Zögernd entschied sie
sich für die linke Abzweigung, wobei sie auf Zehenspitzen ging,
nur leise atmete und auf Geräusche des Verfolgers – falls
es nicht mehrere waren – achtete. Als es zu dunkel wurde, um
noch irgendetwas zu erkennen, drehte sie an ihrem Suchring und
flüsterte: »Ich brauche eine Taschenlampe.« Der
dünne blaue Strahl war zwar schwach, reichte aber so weit, dass
sie den Raum, der vor ihr lag, in groben Zügen ausmachen konnte.
Es war ein großer, offener Wohnungstrakt, ähnlich wie das
Ess-/Wohnzimmer bei ihr zu Hause, allerdings längst
ausgeschlachtet und leer.
    Sie sah sich um. In einer Ecke ragte neben einem offenen
Zugangstunnel ein demoliertes Fabrikationsgerät empor. Die
gegenüberliegende Wand nahm ein Sofa ein, dessen Sitzpolster mit
den Jahren wegen der Feuchtigkeit stockig geworden waren. Sie hielt
den Atem an, um ein Niesen zu unterdrücken. Der Luftzug trug
Worte zu ihr herüber, die sie keineswegs hören wollte:
»… verdammt, wo is’n die Hexe hin?«
    »Hier wohl, in einem von denen da. Du nimmst Steuerbord, ich
Backbord.«
    Männliche Stimmen, mit einem wirklich seltsamen Akzent, die
rau und resolut klangen. Wednesday zitterte wie in einem Krampf. Das sind nicht die Bone-Schwestern! Die waren zwar schlimm
– wenn man ihnen in die Quere kam, schlugen sie einen
krankenhausreif –, aber die weiße Schwesternschaft hing
nicht mit solchen…
    Knirschen und ein Fluch. Irgendjemand hatte den Fuß in den
offenen Kabelkanal gesteckt. Am Rande blinder Panik huschte Wednesday
zu dem knapp einen halben Meter hohen Zugangstunnel und krabbelte auf
allen vieren mit dem Kopf voran hinein. Die Röhre, in der
Zwielicht herrschte, führte kaum mehr als eine Armlänge
geradeaus und knickte dann scharf nach oben ab, wo die Rohrleitungen
an einem Träger gebündelt waren. Sie hielt inne, zwang sich
dazu, sich zu lockern, und wälzte sich auf den Rücken,
damit sie hinter den Knick blicken konnte. Kann ich…? Rappel
dich auf die Knie hoch, setz dich auf, steck die Zehenspitzen in die
Zwischenräume der

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