Supernova
auf und sage dir dann, was weiter
zu tun ist. Hast du das verstanden?«
»Ja, aber…« Sie sprach mit sich selbst, die
Verbindung war abgebrochen.
»Scheißvergewaltiger«, fluchte sie und versuchte
so zu klingen, als glaube sie selbst daran. Hermann? Nachdrei
Jahren Funkstille? Ihr war schwach in den Knien. Hab ich mir das
alles nur eingebildet? Im Strahl ihres Ringes erkannte sie die
Spuren von Schutt und die Kratzer auf ihren mit so viel
Liebesmühe hergestellten Stiefeln. »Nein.« Gleich
darauf konnte sie die Leiter ausmachen, die zum Erdgeschoss
hinunterführte – und hinauf zum nächsten Gang, der
neben dem oberen Treppenabsatz lag. »Ja!«
zum überleben verdammt
Für diese Party hatte Sam ein stillgelegtes Industriewerk am
Rande der zivilisierten Zone in Beschlag genommen. Wednesday ging
nicht sofort dorthin; zunächst stieg sie mehrere hell
beleuchtete Stockwerke hoch, bis sie zu einer Arkade mit langweiligen
Bürgerhäusern gelangte, suchte eine öffentliche
Toilette auf und benutzte deren Einrichtungen. Abgesehen davon, dass
sie den Dreck von ihren Stiefeln bürsten und ihrer Jacke
auftragen musste, sich über der Toilette eigenständig zu
reinigen, war ihr Haar völlig durcheinander und ihre Laune
miserabel. Wie hat es dieser Abschaum wagen können, mir
nachzustellen? Fürihre Lippen wählte sie ein dunkles
Blau und für die Lidschatten ein wütendes Schwarz; danach
brachte sie ihre Haare in Ordnung, so gut es eben ging, und hielt
inne. »Ich hab ’ne Wut, ’ne Scheißwut!«
Als sie den Kopf schüttelte, tat es das Gesicht im Spiegel
ihr nach und zwinkerte ihr gleich darauf zu. »Darf ich dir
irgendetwas vorschlagen, meine Liebe?«, fragte der Spiegel.
Schließlich ließ sie sich vom Spiegel dazu
überreden, einen zarten, bunten Sarong zu bestellen, einen Hauch
von Seide in Regenbogenfarben, den sie sich um die Taille schlingen
konnte. Das passte zwar nicht zu ihrer Stimmung, aber sie musste
zugeben, dass es eine gute Idee war. Die Jacke, die ihre Stimmung
spürte, hatte ihre Schultern mit Stacheln versehen, sodass
Wednesday einem zornigen Igel ähnelte. Ohne den Sarong, der ihr
Erscheinungsbild milderte, würden die Menschen ihr wohl den
ganzen Abend ausweichen. Danach benutzte sie den Spiegel dazu, Sams
»Empfangsdame« anzurufen. Sie überwand ihren Stolz
sogar so weit, sie nach der Wegbeschreibung zu fragen. Da die Party
spontan geplant worden war und zur Hälfte aus eher zufällig
hereinschneienden Gästen bestehen würde, konnte sie dort
genauso gut untertauchen wie anderswo – solange sie da niemand
beschattete. Aber sie hatte nicht die Absicht, sich zweimal in einer
einzigen Nacht auflauern und verfolgen zu lassen.
Sam hatte ein leer stehendes Industriemodul besetzt, das ein paar
Stockwerke unterhalb der Slums im Kellergeschoss lag, es rundum
schwarz angesprüht und mit einigen geklauten
Haushaltsvorrichtungen versehen. In jedem Winkel des Raums flackerten
Lichtröhren, die in gummiartigen grünen Schaum
eingedübelt waren. Die Sitzgelegenheiten – sie hatten die
Form von Rippen und Kieferknochen – bestanden aus seltsamen,
toten Strängen missgestalteter Kalziumgebilde, offenbar aus
einem Biotank für Korallen gemopst. Laute Walzermusik, die ein
verrückter DJ künstlicher Intelligenz mit kreischendem
Feedback versah, attackierte Wednesdays Trommelfelle. Die Bar war
voll zugedröhnter Leute, einer schlimmer als der andere. Der
Kellner, ein Roboter, spuckte alkoholische Getränke aus und
verteilte Joints und das Zeug, das rosafarbenes Rauschen erzeugte.
Sameena wusste, wie man eine Party schmiss, wie Wednesday ihr
widerwillig zugestehen musste. Hier experimentierte die leicht
anrüchige städtische Wohlstandsjugend mit dem winzigen
Risiko, welches die bis ins Einzelne regulierte Gesellschaft ihr
zugestand. Auf einem ausrangierten Behälter mit
Lösungsmitteln lag eine Katze, deren eines Vorderbein
herunterhing, und starrte jeden an, der hereinkam. Als Wednesday sie
angrinste, peitschte sie böse mit dem Schwanz und wandte den
Blick ab.
»Wednesday!«, sagte ein dicklicher Junge, der
verspiegelte Kontaktlinsen trug. Im Licht der Grubenlampen
glänzte sein Schweiß leicht rötlich: Schweinchen. Er hielt ein halb geleertes Glas in der Hand, das Bier enthalten
mochte.
»Schweinchen.« Sie sah sich um. Schweinchen war auf
Drogen, das war er immer, denn diesem Langweiler war seine
heterozyklische Chemie heilig. Von der Bioforschung war er wie
besessen. Zehn Kilo brauner
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