Supernova
Alt-Neufundland.
Ein weiterer Knotenpunkt. Erneut ging sie das Risiko ein, die
Taschenlampe kurz aufblitzen zu lassen, und konnte einen weiteren
Tunnel ausmachen. Diesmal nahm sie die Abzweigung, die zu der
großen leeren Höhle am Ende der Passage führte. Zehn
Meter ging es immer geradeaus; danach ließ sie erneut den
Orientierungsring aufblitzen und erkannte vor sich einen
zerklüfteten Vorsprung. Auf dem Boden lag Staub und Unrat, der
wie der vertrocknete Kot eines im Tunnel hausenden Tieres aussah,
vermischt mit herausgerissenen Wandverkleidungen. Jenseits dieses
Vorsprungs wurde das Licht von der Dunkelheit absorbiert, aber in der
Ferne war ein Tröpfeln zu hören.
Scheiße. Sie kniete sich auf den kalten Metallboden
und warf einen Blick zurück. Unter ihr, hinter ihr verfolgten
zwei seltsame Männer den Schatten, den ihr Netzwerk hinterlassen
hatte. Und hier, wo sie leibhaftig hockte, war sie blockiert. Oder
nicht? Langsam kroch sie vorwärts und blickte ins Innere der
Höhle. Da drinnen konnte sich alles Mögliche befinden: eine
Gasfalle aus Kohlendioxid, ein Leck, das die Kälte
hereinließ, falls die Wandisolation zerbröckelt war. Die
Mauern würden dann so kalt sein, dass man an ihnen festfrieren
konnte, wenn man sie berührte. Erneut am Rande einer Panik,
schnupperte sie die Luft. Hermann würde wissen, was… Aber Hermann war nicht da, er war ihr von Alt-Neufundland nicht
hierher gefolgt. Damals hatte er ihr erzählt, dass
Kausalverbindungen zusammenbrachen, wenn man versuchte, einen
Endpunkt schneller als das Licht zu bewegen. Und der Endpunkt, mit
dem einer von Hermanns Agenten Wednesday ausgestattet hatte – es
war ein Kinderarzt gewesen, der als Assistenzarzt in ihrem Habitat
gearbeitet hatte, als sie zwölf gewesen war –, war jetzt
nicht mehr funktionsfähig. Sie würde selbst herausfinden
müssen, was zu tun war, falls sie zu Sammys Party gelangen
wollte. Oder überhaupt irgendwohin, womöglich sogar nach
Hause.
»Jagen Gespenst.« Die ferne, gedämpfte Stimme
hallte durch den Gang, der sich unter ihr befand. »Fallsse hier
is, wie finden wa se denn? Is ’ne Schutthalde, mein Sohn,
Schutthalde. Sag dir, wir jagen ’nen Gespenst.« Als ein
Lichtschein über den dunklen Boden der Höhle flackerte,
hielt Wednesday den Atem an.
»Terascan…«
»Zeigt nix. Guck mal, die Wände sind mit Titan legiert,
hast du’s gesehen? Sag dir, die issen Gespenst, will uns wo
hinlocken.«
»Yurg wird nich glücklich darüber sein.«
Waren die Wände mit Titan legiert? Wednesday blickte
nach unten. Metallverstrebungen. Falls die Männer einen
Terahertz-Scanner dabei hatten, würde es nicht lange dauern, bis
sie Wednesday aufgespürt hatten. Es sei denn, diese blöden
alten Metallverstrebungen, produziert aus Eisenerz, das beim
Aushöhlen des Asteroiden übrig geblieben war, stellten
tatsächlich einen erstklassigen Faradaykäfig dar. Kein
Signal. Ihre Schultern bebten, als sie hörte, wie
Stiefelabsätze unter ihr aufstampften und kehrtmachten.
»Wir beide gehen jetzt zurück, sehn in ihrem Sektor nach
und warten da auf sie.«
Stapf, stapf, stapf. Wütende Schritte, die sich
entfernten. Wednesday holte tief Luft. Kann ich’s riskieren? Für zehn Sekunden schaltete sie ihre Ringe ein, wartete ab,
schaltete sie wieder aus. Die Schritte kehrten nicht zurück,
auch von den wütenden Stimmen der Verfolger war nichts mehr zu
hören. Aber erst, nachdem mehrere Minuten verstrichen waren,
traute sie sich, die Ringe an den Händen wieder einzuschalten.
Und diesmal ließ sie sie an.
»Scheißvergewaltiger«, murmelte sie. Nicht, dass
sich solche Leute auf Centris Magna geradezu tummelten, aber so etwas
war leichter zu glauben, als…
Ihr Telefon meldete sich.
»Ja?«
»Wednesday, hier ist Hermann, verstehst du mich?«
»Was…« Ihr schwindelte: So ein Zufall, ausgerechnet
jetzt. »Ist lange her!«
»Ja. Bitte gib Acht: Dein Leben ist in Gefahr. Ich schicke
dir Geld, das du später abholen kannst. Schalte deine Implantate
nicht wieder ein, denn ohne die kann ich es deinen Verfolgern schwer
machen, dich zu orten. Da, wo du jetzt bist, gibt es an der Seite
eine Leiter. Steig ein Stockwerk hinauf, dann nimm den zweiten
Ausgang links und wende dich gleich wieder nach rechts. Geh weiter,
bis du auf ein dicht bevölkertes Gebiet stößt. Tauche
in einer Menschenmenge unter, falls du eine finden kannst. Geh auf
keinen Fall nach Hause, sonst bringst du deine Familie in Gefahr. Ich
nehme bald wieder Kontakt mit dir
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