Suppenmord: Kommissar Hölderling kocht (German Edition)
jeweils anderen Geschlechts zum Abschied küssen und zum Auto tragen. Verständlicherweise war Viktor bislang immer der Sieger gewesen. Meistens hatte er sich noch den Spaß gemacht, seine männlichen Mitschüler ebenfalls abzuschlecken.
Als Gregor endlich wieder aufrecht auf seinem Stuhl saß, spürte er, dass sein Gesicht glühte. Sein Blick traf sich mit dem von Annelies, und ihre Augen funkelten mit ihrer Halskette aus Rubinen, die sie zum tief ausgeschnittenen Abendkleid aus dunkelgrauer Seide trug, um die Wette.
«Ich weiß, was du jetzt denkst», flüsterte Viktor. «Dass dieser Struck Annelies ausgerechnet dieses Kleid in den Koffer gepackt hat, ist eine Kampfansage. Ein geworfener Fehdehandschuh …»
«Vielleicht», stotterte Hölderling, «hat sie es selbst eingepackt … dann, dann … wäre das anders zu interpretieren.»
Viktor rollte die Augen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Hölderlings Temperatur stieg schlagartig um mehrere Grad, als er Otto Lobenthal herannahen sah – den klasseneigenen Schönheitschirurgen mit Stadtklinik in Düsseldorf, der die Essenspause nutzte, um sich neben Annelies aufzubauen, ihre Hand zu nehmen und seine Visitenkarte hineinzulegen. «Nicht, dass du es nötig hättest, meine Liebe», sagte er. «Aber nur für den Fall, dass du mal was machen lassen willst. Für einen Tanz mit dir gibt es Botox to go. Kostenlos, versteht sich. Der Abend ist ja noch lang … Ich könnte auch eine Bonuskarte für dich anlegen», schmalzte er, guckte Gregor triumphierend an und verkündete: «Und an deiner Stelle würde ich mal über meinen Blutdruck nachdenken. Deine Birne sieht bedenklich aus, Gregor.»
«Du bist zu spät, Otti, der zweite Tanz mit der Schönheit gehört mir. Und der dritte auch. Nicht wahr, Annelies? Deine Ratenzahlung für die Trennungsformalitäten», sagte Viktor und schielte auf Gregor, von dem er hoffte, er würde aufspringen und Lobenthal, genannt «die Nase», ebenjene zu Brei schlagen. Aber Gregor, so schien es, hatte bereits mit dem Atmen aufgehört.
Vom Kopfende bimmelte es heftig. Marielle Faust forderte die Aufmerksamkeit am Tisch. «Das Krebssüppchen. Guten Hunger.»
«Passend zu deiner Gesichtsfarbe, Gregor», feixte Lobenthal, machte einen Diener vor Annelies, «die Dame hat die Wahl», und ging zu seinem Platz zurück.
Gregor Hölderling nahm hastig einen Schluck Wasser. Das Krähenfüßchen beugte sich zu ihm hinüber und raunte: «Ich tanze die ganze Nacht mit dir, Gregor. Und auch sonst, du musst auf nichts verzichten heute Nacht. Ich habe die Acht, Romeo und Julia … du verstehst.»
Hölderling spürte einen Ohnmachtsanfall nahen. Seine Eingeweide krampften, sein Herz raste, und die einzige Person, die auf der Stelle all diesen Übeln hätte Einhalt gebieten können, steckte soeben die Visitenkarte von Lobenthal in ihr Dekolleté, lachte in die Runde, wobei ihr spitzes Näschen voll zur Geltung kam und auch ihre schwarzen glatten Haare, die wie Chinalack glänzten. Annelies nahm noch einen großen Schluck aus ihrem Weinglas und hielt es Viktor auffordernd hin, damit er es nachfülle. «Viktor, mein Lebensretter. Bevor ich ‹die Nase› an meine Nase ranlasse, müsste ich tot sein.»
Mit letzter Kraft drehte Gregor seinen Kopf zur Seite, um dem Pesthauch von Krähenfüßchens Parfüm und dem Anblick von Annelies auszuweichen. Er schaute sehnsüchtig zu den riesigen Fenstern, die einen traumhaften Blick nach draußen gewährten. Im Licht der Außenscheinwerfer, die einen Teil des Innenhofs und die Landschaft außerhalb der Mauern beleuchteten, sah die Szenerie märchenhaft aus. Dicke Schneeflocken trudelten vom Himmel, die Tannen sahen aus wie auf einem Kalenderblatt, schöner als gemalt, und Gregor Hölderling wünschte sich nichts sehnlicher, als nach draußen zu wanken, um sein Gemüt im Schnee zu kühlen. Sich in den Schnee fallen lassen und den Adler machen. Smoking hin oder her, sein Gehirn war kurz davor zu gerinnen. Wenn er jetzt mit einem Schlaganfall am Tisch zusammenbräche, dann wäre der letzte Gruß von ihm an Annelies der Anblick seines Puddinghirns bei der Obduktion, die selbstverständlich sie durchführen würde. Er wusste, dass ihr das gefallen würde – aber man sollte einer Geliebten nicht jeden Wunsch von den Augen ablesen. Wer hatte das noch gleich gesagt? Ach, ja, sein Freund Jobst. Und der musste es ja wissen – sein Omelett von Kalbsbregen mit Räucherschinken war schließlich unübertroffen.
«Geht’s dir gut?»,
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