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Survive

Survive

Titel: Survive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Morel
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an der Steilwand sterben.«
    Pauls Augen beginnen erregt zu funkeln. Und dann ist sein Blick wieder eiskalt.
    »Dann stirb. Ist mir doch egal. Ich werde jedenfalls nicht hier sitzen und auf den Tod warten. Das ist nicht mein Stil.«
    Mein Herz verkrampft sich, Tränen steigen mir in die Augen. Ein dicker, trauriger Frosch sitzt mir im Hals. Kaltherziger Drecksack. Ich hasse ihn. Ich hasse ihn mehr als jedes Wesen, dem ich je im Leben begegnet bin, eingeschlossen meinen Vater, den ich gehasst habe seit dem Tag, an dem er mich verlassen hat. Ich zeige auf die Oberkante der Steilwand.
    »Lass mich nicht zurück, Paul«, schluchze ich. Und dann falle ich in den Schnee auf die Knie. Er steht für eine Weile neben mir, während ich weine.
    »Willst du, dass ich dich zurück in die Klokabine bringe?«, fragt er.
    Ich nicke.
    »Das mache ich auf gar keinen Fall. Deine verdammten Seelenklempner würden das tun, nicht wahr? Dich bestärken? So nennt man das doch, stimmt’s? Nun, das mag in einer Klinik funktionieren, wo sie dir zu essen geben und sich um dich kümmern. Aber nicht hier. Stillstand ist Tod.«
    Ich höre in Pauls Stimme die Stimme von Old Doctor widerhallen. Ich höre auf zu weinen und sehe erst ihn und dann den Berg an.
    »Diesen Überhang schaffe ich nie.«
    »Du hast nur Angst davor, weil du so was noch nie gemacht hast. Du wirst es schaffen.«
    »Ich habe keine Angst. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es möglich ist.«
    Paul schaut zu der Stelle auf, wo die Wand überhängt. »Das da oben? Oh, das ist einfacher, als spazieren zu gehen. Du kannst doch gehen, oder?«
    Sarkasmus. Das ist seine ganze Antwort – ein dummer Witz. Wie kann es sein, dass ein Typ in einer einzigen Sekunde von absolut umwerfend zu total bescheuert wechseln kann?
    »Ich gehe als Erster. Falls ich also abstürze und sterbe, kannst du dich an meinen Überresten satt essen, bis Hilfe eintrifft.«
    Er grinst mich an.
    »Ich steh nicht auf gedörrtes Hammelfleisch.« Ziemlich lahme Retourkutsche, aber was Besseres fällt mir nicht ein.
    »Mich zu beleidigen ändert auch nichts.«
    Ich stehe trotzig da. Er sagt nichts, und dann schaut er zum Berg auf, als mache er sich Gedanken über die Kletterroute. Aber gerade als ich denke, dass ich ihm ein wenig den Wind aus den Segeln genommen habe, feuert er zurück.
    »Glaub ja nicht, ich würde dein kleines Geheimnis nicht ebenfalls kennen, Solis. Du willst lieber aufgeben und ein Opfer sein als kämpfen und verlieren. Es ist einfacher, an Daddys Schulter zu heulen, nicht wahr?«
    »Du kannst mich mal!«, brülle ich. »Mein Vater ist tot. Und er war ein Scheißkerl, genau wie du.«
    Ich dränge mich an ihm vorbei. Ich kann ihm nicht ins Gesicht sehen. Ich starre zu der überhängenden Felskante hoch und versuche, mir Mut zu machen. Es kommt mir vor, als würde ich direkt auf das Ende meines Lebens zumarschieren. Wie soll ich es jemals da hinaufschaffen?
    Warum es überhaupt erst versuchen, denke ich. Die Stimme von Old Doctor hallt in meinem Kopf wider: »Weil es das ist, was uns ausmacht. Wir zwingen dem Leben eine Bedeutung auf.«
    Tief in mir drin macht mir etwas anderes zu schaffen. Dieses Wort: Opfer. Paul hat mich damit getroffen wie mit einem kleinen Dolch. Ich kann dieses Wort nicht ausstehen, aber ich spüre, dass eine gewisse Wahrheit darin liegt. Scheiß auf den Kerl – was weiß der schon!
    »Gehen wir«, sage ich und setze mich in Bewegung.

Kapitel 21
    Wir sprechen kein Wort, als wir am Fuß der Steilwand ankommen. Die Temperaturen liegen leicht über Null, aber es ist bewölkt, und die tief hängenden Wolken schweben nur knapp überm Tal. Ich spüre die Sonne hinter den Wolken, sie wirft ein leicht unheilvoll wirkendes Licht darüber. Der Rückenwind schiebt uns ein wenig nach vorn, und der einzige Schnee in der Luft ist der, den wir aufgewirbelt haben. Wir könnten uns keine besseren Bedingungen wünschen, zumindest nicht hier im Gebirge.
    Ich blicke den Steilhang empor und stelle fest, dass trotz der bisher überwundenen Entfernung die Kletterroute weder weniger steil noch kürzer geworden ist. Ich möchte heulen oder Paul anflehen, umzudrehen, aber ich kämpfe den Drang nieder. Diese Genugtuung werde ich ihm nicht geben. Keine Tränen mehr vor diesem Mistkerl. Denn mehr als das wird er ab sofort nicht mehr für mich sein. Ein Mistkerl.
    »Hör zu«, blafft er schließlich, nachdem er eine gefühlte Ewigkeit lang mit den Seilen herumgespielt hat. »Ich werde uns nach

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